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Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.

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um zugegebenermaßen den erziehlichen Erfolg der Anstalt recht herunterzudrücken. Auch werden die Mädchen zwischen 15 bis 16 Jahren entlassen. Eine Bestimmung, die geeignet ist, alles zu vernichten, was in der Erziehung eines Kindes bis dahin erreicht wurde, eine Bestimmung, die man in Krakau und Lemberg nicht gutheißen kann, weil sie, wie man mir dort zur Erklärung sagte, in den meisten Waisenhäusern und Erziehungsanstalten besteht.

Der Vorstand des Brodyer Waisenhauses erkennt und bedauert die Mängel seiner Anstalt - das ist schon sehr viel - und darum ist auch die Klage wegen ungenügender Mittel berechtigt. Auch hier wie in Krakau ein Analphabet als "Erzieher" der Knaben, und eine Köchin oder Haushälterin als einzige "pädagogische Kraft" der Mädchenabteilung.

Außer den genannten Anstalten gibt es noch in der Nähe von Krakau ein christliches Waisenhaus, in dem ständig 40 - 60 jüdische Kinder zwischen christlichen Kindern erzogen werden, obwohl man sie, bevor sie das gesetzliche Alter der Selbstbestimmung haben, nicht der Taufe zuführt.

Es ist dies eine von der Fürstin Osolinska erhaltene Anstalt, in der diese Dame aus Patriotismus alle polnischen Kinder, die im Wiener Findelhaus geboren werden, aufnimmt. Zu meinem Bedauern habe ich die Anstalt nicht gesehen, weiß also nicht, von welchem Geiste sie durchdrungen ist.

Wenn die Kinder dort so erzogen und gehalten werden, wie die Zöglinge eines Hauses in der Nähe von Dukla, das dem heiligen Michael geweiht ist und von einem katholischen Pfarrer ganz selbstherrlich geleitet wird, dann wäre es in erster Linie aus menschlichen Gründen wünschenswert, Mittel und Wege zu finden, die Kinder besser zu erziehen. Seitens der Fürstin Osolinska sollen keinerlei Schwierigkeiten gemacht werden, die Kinder eventuell der Krakauer Gemeinde auszuliefern.

Aber in Krakau sowohl, wie im ganzen Lande fand ich die anderswo längst überwundene Anschauung der Minderwertigkeit unehelicher Kinder noch sehr stark ausgeprägt.

Daß uneheliche Kinder schutzbedürftiger sind, als eheliche, in der Familie lebende, wurde mir nur ungern zugegeben, und daß die Verbrecherstatistik beweist, daß die Vernachlässigung der Unehelichen sich schwer an der Gesellschaft rächt, schien unbekannt.

um zugegebenermaßen den erziehlichen Erfolg der Anstalt recht herunterzudrücken. Auch werden die Mädchen zwischen 15 bis 16 Jahren entlassen. Eine Bestimmung, die geeignet ist, alles zu vernichten, was in der Erziehung eines Kindes bis dahin erreicht wurde, eine Bestimmung, die man in Krakau und Lemberg nicht gutheißen kann, weil sie, wie man mir dort zur Erklärung sagte, in den meisten Waisenhäusern und Erziehungsanstalten besteht.

Der Vorstand des Brodyer Waisenhauses erkennt und bedauert die Mängel seiner Anstalt – das ist schon sehr viel – und darum ist auch die Klage wegen ungenügender Mittel berechtigt. Auch hier wie in Krakau ein Analphabet als „Erzieher“ der Knaben, und eine Köchin oder Haushälterin als einzige „pädagogische Kraft“ der Mädchenabteilung.

Außer den genannten Anstalten gibt es noch in der Nähe von Krakau ein christliches Waisenhaus, in dem ständig 40 – 60 jüdische Kinder zwischen christlichen Kindern erzogen werden, obwohl man sie, bevor sie das gesetzliche Alter der Selbstbestimmung haben, nicht der Taufe zuführt.

Es ist dies eine von der Fürstin Osolinska erhaltene Anstalt, in der diese Dame aus Patriotismus alle polnischen Kinder, die im Wiener Findelhaus geboren werden, aufnimmt. Zu meinem Bedauern habe ich die Anstalt nicht gesehen, weiß also nicht, von welchem Geiste sie durchdrungen ist.

Wenn die Kinder dort so erzogen und gehalten werden, wie die Zöglinge eines Hauses in der Nähe von Dukla, das dem heiligen Michael geweiht ist und von einem katholischen Pfarrer ganz selbstherrlich geleitet wird, dann wäre es in erster Linie aus menschlichen Gründen wünschenswert, Mittel und Wege zu finden, die Kinder besser zu erziehen. Seitens der Fürstin Osolinska sollen keinerlei Schwierigkeiten gemacht werden, die Kinder eventuell der Krakauer Gemeinde auszuliefern.

Aber in Krakau sowohl, wie im ganzen Lande fand ich die anderswo längst überwundene Anschauung der Minderwertigkeit unehelicher Kinder noch sehr stark ausgeprägt.

Daß uneheliche Kinder schutzbedürftiger sind, als eheliche, in der Familie lebende, wurde mir nur ungern zugegeben, und daß die Verbrecherstatistik beweist, daß die Vernachlässigung der Unehelichen sich schwer an der Gesellschaft rächt, schien unbekannt.

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um zugegebenermaßen den erziehlichen Erfolg der Anstalt recht herunterzudrücken. Auch werden die Mädchen zwischen 15 bis 16 Jahren entlassen. Eine Bestimmung, die geeignet ist, alles zu vernichten, was in der Erziehung eines Kindes bis dahin erreicht wurde, eine Bestimmung, die man in Krakau und Lemberg nicht gutheißen kann, weil sie, wie man mir dort zur Erklärung sagte, in den meisten Waisenhäusern und Erziehungsanstalten besteht.</p>
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        <p>Wenn die Kinder dort so erzogen und gehalten werden, wie die Zöglinge eines Hauses in der Nähe von Dukla, das dem heiligen Michael geweiht ist und von einem katholischen Pfarrer ganz selbstherrlich geleitet wird, dann wäre es in erster Linie aus menschlichen Gründen wünschenswert, Mittel und Wege zu finden, die Kinder besser zu erziehen. Seitens der Fürstin Osolinska sollen keinerlei Schwierigkeiten gemacht werden, die Kinder eventuell der Krakauer Gemeinde auszuliefern.</p>
        <p>Aber in Krakau sowohl, wie im ganzen Lande fand ich die anderswo längst überwundene Anschauung der Minderwertigkeit unehelicher Kinder noch sehr stark ausgeprägt.</p>
        <p>Daß uneheliche Kinder schutzbedürftiger sind, als eheliche, in der Familie lebende, wurde mir nur ungern zugegeben, und daß die Verbrecherstatistik beweist, daß die Vernachlässigung der Unehelichen sich schwer an der Gesellschaft rächt, schien unbekannt.</p>
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[17/0017] um zugegebenermaßen den erziehlichen Erfolg der Anstalt recht herunterzudrücken. Auch werden die Mädchen zwischen 15 bis 16 Jahren entlassen. Eine Bestimmung, die geeignet ist, alles zu vernichten, was in der Erziehung eines Kindes bis dahin erreicht wurde, eine Bestimmung, die man in Krakau und Lemberg nicht gutheißen kann, weil sie, wie man mir dort zur Erklärung sagte, in den meisten Waisenhäusern und Erziehungsanstalten besteht. Der Vorstand des Brodyer Waisenhauses erkennt und bedauert die Mängel seiner Anstalt – das ist schon sehr viel – und darum ist auch die Klage wegen ungenügender Mittel berechtigt. Auch hier wie in Krakau ein Analphabet als „Erzieher“ der Knaben, und eine Köchin oder Haushälterin als einzige „pädagogische Kraft“ der Mädchenabteilung. Außer den genannten Anstalten gibt es noch in der Nähe von Krakau ein christliches Waisenhaus, in dem ständig 40 – 60 jüdische Kinder zwischen christlichen Kindern erzogen werden, obwohl man sie, bevor sie das gesetzliche Alter der Selbstbestimmung haben, nicht der Taufe zuführt. Es ist dies eine von der Fürstin Osolinska erhaltene Anstalt, in der diese Dame aus Patriotismus alle polnischen Kinder, die im Wiener Findelhaus geboren werden, aufnimmt. Zu meinem Bedauern habe ich die Anstalt nicht gesehen, weiß also nicht, von welchem Geiste sie durchdrungen ist. Wenn die Kinder dort so erzogen und gehalten werden, wie die Zöglinge eines Hauses in der Nähe von Dukla, das dem heiligen Michael geweiht ist und von einem katholischen Pfarrer ganz selbstherrlich geleitet wird, dann wäre es in erster Linie aus menschlichen Gründen wünschenswert, Mittel und Wege zu finden, die Kinder besser zu erziehen. Seitens der Fürstin Osolinska sollen keinerlei Schwierigkeiten gemacht werden, die Kinder eventuell der Krakauer Gemeinde auszuliefern. Aber in Krakau sowohl, wie im ganzen Lande fand ich die anderswo längst überwundene Anschauung der Minderwertigkeit unehelicher Kinder noch sehr stark ausgeprägt. Daß uneheliche Kinder schutzbedürftiger sind, als eheliche, in der Familie lebende, wurde mir nur ungern zugegeben, und daß die Verbrecherstatistik beweist, daß die Vernachlässigung der Unehelichen sich schwer an der Gesellschaft rächt, schien unbekannt.

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Zitationshilfe: Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/17>, abgerufen am 28.04.2024.