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Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.

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Allgemeine rechtfertigen, ohne daß man deshalb "leichtfertig generalisiert".

Wenn wir z. B. bei einem Wunderrabbi im Zimmer sitzen, - er bestreitet die Notwendigkeit von Knabenschulen - und während wir sprechen, fällt meiner Reisegefährtin von der Zimmerdecke herab ein schwerfälliges Ungeziefer in den Schoß, da brauche ich in dem Hause keinen Scheffel Salz zu essen, um mir über den Geist seiner Bewohner - Mann und Frau - ein annähernd richtiges Bild zu machen. Dasselbe gilt von den hervorstechendsten Eigentümlichkeiten des Landes und seiner jüdischen Bevölkerung, die wir nur eine relativ kurze Zeit beobachten konnten.

Ich darf hinzufügen, daß wir unsere Aufgabe ernst nahmen, daß wir eifrig beobachteten und unseren Zweck nicht aus den Augen ließen. Als Frauen war es uns nicht nur möglich, mit den intelligenten Kreisen zu verkehren, sondern wir suchten und fanden Gelegenheit, mit Männern und Frauen, Mädchen und Kindern des Volkes zu sprechen, und manches Wort, mancher Blick ließ uns in Verhältnisse und Zusammenhänge eindringen, die einem Manne unzugänglich und doch für das Verständnis der Zustände sehr wichtig sind.

Dennoch möchte ich für meinen Teil meinen Bericht weder als erschöpfend noch als wissenschaftliche Arbeit betrachtet sehen, da ich eine solche zu leisten nicht im stande bin.

Ich kann nur sagen, wie ich als Frau die Dinge gesehen habe und kann aus meinen persönlichen Eindrücken nach meiner individuellen Auffassung Schlüsse ziehen und Vorschläge machen.

Was die äußeren Reiseumstände betrifft, die ja auch ein gewisses Interesse beanspruchen können, so muß ich sagen, daß sie eigentliche große Gefahren, wie von befreundeter Seite für uns befürchtet wurden, nicht boten.

Dennoch war die Reise tatsächlich mit Anstrengungen, Unbequemlichkeiten und hygienischen Unzuträglichkeiten aller Art verbunden.

Unter der Unsauberkeit mancher Hotels in den kleinen Orten hatten wir speziell weniger zu leiden, weil ich stets bestimmte Vorkehrungen zur Nachtruhe traf, und mit großer Energie immer wieder verlangte, was mir unerläßlich erschien. Männliche Reisende dürften nach dieser Richtung viel mehr zu leiden haben, da ihnen die Übung der Selbsthilfe fehlt. Selbstverständlich mußte

Allgemeine rechtfertigen, ohne daß man deshalb „leichtfertig generalisiert“.

Wenn wir z. B. bei einem Wunderrabbi im Zimmer sitzen, – er bestreitet die Notwendigkeit von Knabenschulen – und während wir sprechen, fällt meiner Reisegefährtin von der Zimmerdecke herab ein schwerfälliges Ungeziefer in den Schoß, da brauche ich in dem Hause keinen Scheffel Salz zu essen, um mir über den Geist seiner Bewohner – Mann und Frau – ein annähernd richtiges Bild zu machen. Dasselbe gilt von den hervorstechendsten Eigentümlichkeiten des Landes und seiner jüdischen Bevölkerung, die wir nur eine relativ kurze Zeit beobachten konnten.

Ich darf hinzufügen, daß wir unsere Aufgabe ernst nahmen, daß wir eifrig beobachteten und unseren Zweck nicht aus den Augen ließen. Als Frauen war es uns nicht nur möglich, mit den intelligenten Kreisen zu verkehren, sondern wir suchten und fanden Gelegenheit, mit Männern und Frauen, Mädchen und Kindern des Volkes zu sprechen, und manches Wort, mancher Blick ließ uns in Verhältnisse und Zusammenhänge eindringen, die einem Manne unzugänglich und doch für das Verständnis der Zustände sehr wichtig sind.

Dennoch möchte ich für meinen Teil meinen Bericht weder als erschöpfend noch als wissenschaftliche Arbeit betrachtet sehen, da ich eine solche zu leisten nicht im stande bin.

Ich kann nur sagen, wie ich als Frau die Dinge gesehen habe und kann aus meinen persönlichen Eindrücken nach meiner individuellen Auffassung Schlüsse ziehen und Vorschläge machen.

Was die äußeren Reiseumstände betrifft, die ja auch ein gewisses Interesse beanspruchen können, so muß ich sagen, daß sie eigentliche große Gefahren, wie von befreundeter Seite für uns befürchtet wurden, nicht boten.

Dennoch war die Reise tatsächlich mit Anstrengungen, Unbequemlichkeiten und hygienischen Unzuträglichkeiten aller Art verbunden.

Unter der Unsauberkeit mancher Hotels in den kleinen Orten hatten wir speziell weniger zu leiden, weil ich stets bestimmte Vorkehrungen zur Nachtruhe traf, und mit großer Energie immer wieder verlangte, was mir unerläßlich erschien. Männliche Reisende dürften nach dieser Richtung viel mehr zu leiden haben, da ihnen die Übung der Selbsthilfe fehlt. Selbstverständlich mußte

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        <p>Ich darf hinzufügen, daß wir unsere Aufgabe ernst nahmen, daß wir eifrig beobachteten und unseren Zweck nicht aus den Augen ließen. Als Frauen war es uns nicht nur möglich, mit den intelligenten Kreisen zu verkehren, sondern wir suchten und fanden Gelegenheit, mit Männern und Frauen, Mädchen und Kindern des Volkes zu sprechen, und manches Wort, mancher Blick ließ uns in Verhältnisse und Zusammenhänge eindringen, die einem Manne unzugänglich und doch für das Verständnis der Zustände sehr wichtig sind.</p>
        <p>Dennoch möchte ich für meinen Teil meinen Bericht weder als erschöpfend noch als wissenschaftliche Arbeit betrachtet sehen, da ich eine solche zu leisten nicht im stande bin.</p>
        <p>Ich kann nur sagen, wie ich als Frau die Dinge gesehen habe und kann aus meinen persönlichen Eindrücken nach meiner individuellen Auffassung Schlüsse ziehen und Vorschläge machen.</p>
        <p>Was die äußeren Reiseumstände betrifft, die ja auch ein gewisses Interesse beanspruchen können, so muß ich sagen, daß sie eigentliche große Gefahren, wie von befreundeter Seite für uns befürchtet wurden, nicht boten.</p>
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        <p>Unter der Unsauberkeit mancher Hotels in den kleinen Orten hatten wir speziell weniger zu leiden, weil ich stets bestimmte Vorkehrungen zur Nachtruhe traf, und mit großer Energie immer wieder verlangte, was mir unerläßlich erschien. Männliche Reisende dürften nach dieser Richtung viel mehr zu leiden haben, da ihnen die Übung der Selbsthilfe fehlt. Selbstverständlich mußte
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[6/0006] Allgemeine rechtfertigen, ohne daß man deshalb „leichtfertig generalisiert“. Wenn wir z. B. bei einem Wunderrabbi im Zimmer sitzen, – er bestreitet die Notwendigkeit von Knabenschulen – und während wir sprechen, fällt meiner Reisegefährtin von der Zimmerdecke herab ein schwerfälliges Ungeziefer in den Schoß, da brauche ich in dem Hause keinen Scheffel Salz zu essen, um mir über den Geist seiner Bewohner – Mann und Frau – ein annähernd richtiges Bild zu machen. Dasselbe gilt von den hervorstechendsten Eigentümlichkeiten des Landes und seiner jüdischen Bevölkerung, die wir nur eine relativ kurze Zeit beobachten konnten. Ich darf hinzufügen, daß wir unsere Aufgabe ernst nahmen, daß wir eifrig beobachteten und unseren Zweck nicht aus den Augen ließen. Als Frauen war es uns nicht nur möglich, mit den intelligenten Kreisen zu verkehren, sondern wir suchten und fanden Gelegenheit, mit Männern und Frauen, Mädchen und Kindern des Volkes zu sprechen, und manches Wort, mancher Blick ließ uns in Verhältnisse und Zusammenhänge eindringen, die einem Manne unzugänglich und doch für das Verständnis der Zustände sehr wichtig sind. Dennoch möchte ich für meinen Teil meinen Bericht weder als erschöpfend noch als wissenschaftliche Arbeit betrachtet sehen, da ich eine solche zu leisten nicht im stande bin. Ich kann nur sagen, wie ich als Frau die Dinge gesehen habe und kann aus meinen persönlichen Eindrücken nach meiner individuellen Auffassung Schlüsse ziehen und Vorschläge machen. Was die äußeren Reiseumstände betrifft, die ja auch ein gewisses Interesse beanspruchen können, so muß ich sagen, daß sie eigentliche große Gefahren, wie von befreundeter Seite für uns befürchtet wurden, nicht boten. Dennoch war die Reise tatsächlich mit Anstrengungen, Unbequemlichkeiten und hygienischen Unzuträglichkeiten aller Art verbunden. Unter der Unsauberkeit mancher Hotels in den kleinen Orten hatten wir speziell weniger zu leiden, weil ich stets bestimmte Vorkehrungen zur Nachtruhe traf, und mit großer Energie immer wieder verlangte, was mir unerläßlich erschien. Männliche Reisende dürften nach dieser Richtung viel mehr zu leiden haben, da ihnen die Übung der Selbsthilfe fehlt. Selbstverständlich mußte

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Zitationshilfe: Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/6>, abgerufen am 28.04.2024.