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Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.

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Was zunächst die wirtschaftliche Armut der galizischen Juden anbelangt, so hängt diese nicht nur mit der allgemeinen Landesarmut, sondern auch damit zusammen, daß die Juden Galiziens ihrem Erwerbe nur in bestimmten Berufen nachgehen können. Am meisten kommt dabei die Tatsache zur Geltung, daß während 83,12 Prozent (3 195 144 Menschen der ganzen erwerbstreibenden Bevölkerung Galiziens) in der Landwirtschaft beschäftigt sind, die Juden, die 10,66 Prozent der gesamten Bevölkerung Galiziens bilden, sich nur mit einem minimalem Teil an diesem Haupterwerbszweige des Landes beteiligen. Von den 7 575 000 Hektar des in Galizien bebauten Landes besitzen die Juden 350 000 Hektar oder 4,51 Prozent des Gesamtareals. Diese Zahl reduziert sich aber auf eine ganz verschwindende Größe, wenn man, anstatt den Umfang des in den Händen der Juden befindlichen Landareals auf das Gesamtareal des bebauten Grund und Bodens, die Zahl der jüdischen auf die Zahl der christlichen Landbesitzer in Galizien bezieht.

Dann sehen wir, daß, während die 7 575 000 Hektar des gesamten Bodenareals Galiziens 1 811 787 Eigentümern gehören, die 350 000 Hektar des jüdischen Grundbesitzes nur in 650 Besitztümer zerfallen. Das heißt also, der Prozentsatz der jüdischen Landeigentümer beträgt 0,033 Prozent oder 0,33 pro Mille.

Während im Durchschnitt auf einen Landbesitzer in Galizien 4,1 Hektar kommt, besitzt jeder jüdische Landbesitzer im Durchschnitt 538,4 Hektar.

Daraus ersieht man, daß, während 61 Prozent des gesamten bebauten Landareals in Galizien im Besitze von Bauern sind, es sich bei den jüdischen Grundstücken, mit einer ganz kleinen Ausnahme, nur um Großgrundbesitz handelt. (Art. Galicya in Wielka Encyklopedya partzechna illustrowona B. 23/24, Warschau 1899.)

Der allgemeine Schluß, den man aus diesen Ziffern ziehen kann, ist, daß von dem Rechte des Landankaufs, das für die Juden in Galizien erst seit 1840 existiert, nur die reichen Juden Gebrauch gemacht haben, während das Volk noch immer dem Ackerbau fern steht. Diese zuerst ins Auge fallende Tatsache wird sehr leicht erklärlich, wenn man sie geschichtlich zu beleuchten sucht.

Als nämlich 1840 die Juden in Galizien das Recht erhielten, Land anzukaufen war das ganze Landareal schon im Besitze der einheimischen Bevölkerung; um dort einen landwirtschaftlichen

Was zunächst die wirtschaftliche Armut der galizischen Juden anbelangt, so hängt diese nicht nur mit der allgemeinen Landesarmut, sondern auch damit zusammen, daß die Juden Galiziens ihrem Erwerbe nur in bestimmten Berufen nachgehen können. Am meisten kommt dabei die Tatsache zur Geltung, daß während 83,12 Prozent (3 195 144 Menschen der ganzen erwerbstreibenden Bevölkerung Galiziens) in der Landwirtschaft beschäftigt sind, die Juden, die 10,66 Prozent der gesamten Bevölkerung Galiziens bilden, sich nur mit einem minimalem Teil an diesem Haupterwerbszweige des Landes beteiligen. Von den 7 575 000 Hektar des in Galizien bebauten Landes besitzen die Juden 350 000 Hektar oder 4,51 Prozent des Gesamtareals. Diese Zahl reduziert sich aber auf eine ganz verschwindende Größe, wenn man, anstatt den Umfang des in den Händen der Juden befindlichen Landareals auf das Gesamtareal des bebauten Grund und Bodens, die Zahl der jüdischen auf die Zahl der christlichen Landbesitzer in Galizien bezieht.

Dann sehen wir, daß, während die 7 575 000 Hektar des gesamten Bodenareals Galiziens 1 811 787 Eigentümern gehören, die 350 000 Hektar des jüdischen Grundbesitzes nur in 650 Besitztümer zerfallen. Das heißt also, der Prozentsatz der jüdischen Landeigentümer beträgt 0,033 Prozent oder 0,33 pro Mille.

Während im Durchschnitt auf einen Landbesitzer in Galizien 4,1 Hektar kommt, besitzt jeder jüdische Landbesitzer im Durchschnitt 538,4 Hektar.

Daraus ersieht man, daß, während 61 Prozent des gesamten bebauten Landareals in Galizien im Besitze von Bauern sind, es sich bei den jüdischen Grundstücken, mit einer ganz kleinen Ausnahme, nur um Großgrundbesitz handelt. (Art. Galicya in Wielka Encyklopedya partzechna illustrowona B. 23/24, Warschau 1899.)

Der allgemeine Schluß, den man aus diesen Ziffern ziehen kann, ist, daß von dem Rechte des Landankaufs, das für die Juden in Galizien erst seit 1840 existiert, nur die reichen Juden Gebrauch gemacht haben, während das Volk noch immer dem Ackerbau fern steht. Diese zuerst ins Auge fallende Tatsache wird sehr leicht erklärlich, wenn man sie geschichtlich zu beleuchten sucht.

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[67/0067] Was zunächst die wirtschaftliche Armut der galizischen Juden anbelangt, so hängt diese nicht nur mit der allgemeinen Landesarmut, sondern auch damit zusammen, daß die Juden Galiziens ihrem Erwerbe nur in bestimmten Berufen nachgehen können. Am meisten kommt dabei die Tatsache zur Geltung, daß während 83,12 Prozent (3 195 144 Menschen der ganzen erwerbstreibenden Bevölkerung Galiziens) in der Landwirtschaft beschäftigt sind, die Juden, die 10,66 Prozent der gesamten Bevölkerung Galiziens bilden, sich nur mit einem minimalem Teil an diesem Haupterwerbszweige des Landes beteiligen. Von den 7 575 000 Hektar des in Galizien bebauten Landes besitzen die Juden 350 000 Hektar oder 4,51 Prozent des Gesamtareals. Diese Zahl reduziert sich aber auf eine ganz verschwindende Größe, wenn man, anstatt den Umfang des in den Händen der Juden befindlichen Landareals auf das Gesamtareal des bebauten Grund und Bodens, die Zahl der jüdischen auf die Zahl der christlichen Landbesitzer in Galizien bezieht. Dann sehen wir, daß, während die 7 575 000 Hektar des gesamten Bodenareals Galiziens 1 811 787 Eigentümern gehören, die 350 000 Hektar des jüdischen Grundbesitzes nur in 650 Besitztümer zerfallen. Das heißt also, der Prozentsatz der jüdischen Landeigentümer beträgt 0,033 Prozent oder 0,33 pro Mille. Während im Durchschnitt auf einen Landbesitzer in Galizien 4,1 Hektar kommt, besitzt jeder jüdische Landbesitzer im Durchschnitt 538,4 Hektar. Daraus ersieht man, daß, während 61 Prozent des gesamten bebauten Landareals in Galizien im Besitze von Bauern sind, es sich bei den jüdischen Grundstücken, mit einer ganz kleinen Ausnahme, nur um Großgrundbesitz handelt. (Art. Galicya in Wielka Encyklopedya partzechna illustrowona B. 23/24, Warschau 1899.) Der allgemeine Schluß, den man aus diesen Ziffern ziehen kann, ist, daß von dem Rechte des Landankaufs, das für die Juden in Galizien erst seit 1840 existiert, nur die reichen Juden Gebrauch gemacht haben, während das Volk noch immer dem Ackerbau fern steht. Diese zuerst ins Auge fallende Tatsache wird sehr leicht erklärlich, wenn man sie geschichtlich zu beleuchten sucht. Als nämlich 1840 die Juden in Galizien das Recht erhielten, Land anzukaufen war das ganze Landareal schon im Besitze der einheimischen Bevölkerung; um dort einen landwirtschaftlichen

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Zitationshilfe: Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/67>, abgerufen am 30.04.2024.