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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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gewagt, ward umringt, erhielt einen Stich in die linke Wange, und mußte sich zum Gefangnen ergeben. Nach Kriegesbrauch wurden ihm Uhr, Baarschaft und Pferd abgenommen. Ein französischer Chasseur zu Pferde erhielt Befehl, ihn hinter die Fronte zu eskortiren. Die Wunde im Gesicht hatte er nur mit seinem Schnupftuche verbinden können, sie blutete und schmerzte sehr. Trübselig genug schlich er neben seinem Wächter einher, als er bemerkte, daß dieser es sich bequem mache; er ließ die Füße aus den Steigbügeln, legte den Zügel auf den Hals des Pferdes, und schlug mit Stahl und Stein Feuer zu einer Tabackspfeife. Rasch entschlossen packte Wurmb ihn bei dem einen Beine, warf ihn vom Pferde, schwang sich in den Sattel, und jagte mitten durch die Franzosen nach der preußischen Schlachtlinie hinüber. Das tollkühne Wagniß gelang; manche Kugel sauste ihm nach, aber keine traf. Als er endlich bei seinen Leuten ankam, sank er, durch den Blutverlust und die Anstrengung erschöpft, ohnmächtig vom Pferde. Allein er kam bald wieder zu sich. Der Stich in die Wange heilte gut, und entstellte ihn gar nicht. In dem Mantelsacke des Chasseurs, der ihm von Rechtswegen zugehörte, fand er das Doppelte seiner verlorenen Baarschaft, und das eiserne Kreuz gesellte sich zu dem Orden pour le merite.

Durch Herrn von Wurmb ward ein Verwandter von ihm, Major Pfeil von der hanseatischen Legion, bei uns eingeführt. Das war anfangs ein Erzähler recht nach unserem Sinne. Mit lauter Stimme, großer Geläufigkeit, und in einem sehr prononcirten schlesischen Dialekte trug er seine Erlebnisse vor, und wußte die ganze Gesellschaft auf das angenehmste zu unterhalten. Es konnte uns jedoch

gewagt, ward umringt, erhielt einen Stich in die linke Wange, und mußte sich zum Gefangnen ergeben. Nach Kriegesbrauch wurden ihm Uhr, Baarschaft und Pferd abgenommen. Ein französischer Chasseur zu Pferde erhielt Befehl, ihn hinter die Fronte zu eskortiren. Die Wunde im Gesicht hatte er nur mit seinem Schnupftuche verbinden können, sie blutete und schmerzte sehr. Trübselig genug schlich er neben seinem Wächter einher, als er bemerkte, daß dieser es sich bequem mache; er ließ die Füße aus den Steigbügeln, legte den Zügel auf den Hals des Pferdes, und schlug mit Stahl und Stein Feuer zu einer Tabackspfeife. Rasch entschlossen packte Wurmb ihn bei dem einen Beine, warf ihn vom Pferde, schwang sich in den Sattel, und jagte mitten durch die Franzosen nach der preußischen Schlachtlinie hinüber. Das tollkühne Wagniß gelang; manche Kugel sauste ihm nach, aber keine traf. Als er endlich bei seinen Leuten ankam, sank er, durch den Blutverlust und die Anstrengung erschöpft, ohnmächtig vom Pferde. Allein er kam bald wieder zu sich. Der Stich in die Wange heilte gut, und entstellte ihn gar nicht. In dem Mantelsacke des Chasseurs, der ihm von Rechtswegen zugehörte, fand er das Doppelte seiner verlorenen Baarschaft, und das eiserne Kreuz gesellte sich zu dem Orden pour le merite.

Durch Herrn von Wurmb ward ein Verwandter von ihm, Major Pfeil von der hanseatischen Legion, bei uns eingeführt. Das war anfangs ein Erzähler recht nach unserem Sinne. Mit lauter Stimme, großer Geläufigkeit, und in einem sehr prononcirten schlesischen Dialekte trug er seine Erlebnisse vor, und wußte die ganze Gesellschaft auf das angenehmste zu unterhalten. Es konnte uns jedoch

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[444/0456] gewagt, ward umringt, erhielt einen Stich in die linke Wange, und mußte sich zum Gefangnen ergeben. Nach Kriegesbrauch wurden ihm Uhr, Baarschaft und Pferd abgenommen. Ein französischer Chasseur zu Pferde erhielt Befehl, ihn hinter die Fronte zu eskortiren. Die Wunde im Gesicht hatte er nur mit seinem Schnupftuche verbinden können, sie blutete und schmerzte sehr. Trübselig genug schlich er neben seinem Wächter einher, als er bemerkte, daß dieser es sich bequem mache; er ließ die Füße aus den Steigbügeln, legte den Zügel auf den Hals des Pferdes, und schlug mit Stahl und Stein Feuer zu einer Tabackspfeife. Rasch entschlossen packte Wurmb ihn bei dem einen Beine, warf ihn vom Pferde, schwang sich in den Sattel, und jagte mitten durch die Franzosen nach der preußischen Schlachtlinie hinüber. Das tollkühne Wagniß gelang; manche Kugel sauste ihm nach, aber keine traf. Als er endlich bei seinen Leuten ankam, sank er, durch den Blutverlust und die Anstrengung erschöpft, ohnmächtig vom Pferde. Allein er kam bald wieder zu sich. Der Stich in die Wange heilte gut, und entstellte ihn gar nicht. In dem Mantelsacke des Chasseurs, der ihm von Rechtswegen zugehörte, fand er das Doppelte seiner verlorenen Baarschaft, und das eiserne Kreuz gesellte sich zu dem Orden pour le merite. Durch Herrn von Wurmb ward ein Verwandter von ihm, Major Pfeil von der hanseatischen Legion, bei uns eingeführt. Das war anfangs ein Erzähler recht nach unserem Sinne. Mit lauter Stimme, großer Geläufigkeit, und in einem sehr prononcirten schlesischen Dialekte trug er seine Erlebnisse vor, und wußte die ganze Gesellschaft auf das angenehmste zu unterhalten. Es konnte uns jedoch

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/456>, abgerufen am 30.04.2024.