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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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Gefahr gebracht? ob es denn in jener keinesweges sittenreinen Zeit etwas so ganz ungeheures gewesen sei, eine Prinzessin zu umarmen, daß Antonio davon gleichsam betäubt und versteinert werde? Mein Freund Paul, dessen Steckenpferd die Litteraturgeschichte war, ließ sich die Mühe nicht verdrießen, alle die großen Namen der römischen Gelehrten, vor denen Tasso so vielen Respekt zeigt, im Jöcher nachzuschlagen; er fand die Autoren sehr unbedeutender und längst verschollener Werke am Ende des 16. Jahrhunderts.

Diesen negativen Geistern ward erwiedert, daß es hier gar nicht auf das Interesse eines kleinen oder großen Hofes, noch auf die Erwerbung eines kleinen Landstriches ankomme; daß Göthe sich die Aufgabe gestellt, die Dichterliebe zu einer Prinzessin darzustellen, und daß er diese Aufgabe in der edelsten gar nicht zu übertreffenden Weise gelöst, obgleich er selbst daran gezweifelt, als er geäußert: es bleibe ihm, um den Tasso zu vollenden, nur noch übrig, sich in eine Prinzessin zu verlieben; der Verstoß gegen die Etikette sei nicht die Peripetie, sondern nur der zufällige Anlaß, um den Gegensatz Tassos gegen Antonio aufs schärfete zuzuspitzen, Antonio könne immerhin für den verirrten Dichter ein wahres Mitleid empfinden; was die Umarmung der Prinzessin betreffe, so sei es ja bekannt, daß man an den sittenlosen Höfen am meisten auf äußern Anstand halte; die römischen Gelehrten seien zwar keine großen Kirchenlichter, aber es sei ein feiner Zug von Göthe, daß sein Tasso sie so hoch stelle, der ja selbst an der Neige der Dichtkunst und des 16. Jahrhunderts stehe.

Diese und viele andere Controversen wurden von uns nach jeder Aufführung besprochen. Ich neigte mich an-

Gefahr gebracht? ob es denn in jener keinesweges sittenreinen Zeit etwas so ganz ungeheures gewesen sei, eine Prinzessin zu umarmen, daß Antonio davon gleichsam betäubt und versteinert werde? Mein Freund Paul, dessen Steckenpferd die Litteraturgeschichte war, ließ sich die Mühe nicht verdrießen, alle die großen Namen der römischen Gelehrten, vor denen Tasso so vielen Respekt zeigt, im Jöcher nachzuschlagen; er fand die Autoren sehr unbedeutender und längst verschollener Werke am Ende des 16. Jahrhunderts.

Diesen negativen Geistern ward erwiedert, daß es hier gar nicht auf das Interesse eines kleinen oder großen Hofes, noch auf die Erwerbung eines kleinen Landstriches ankomme; daß Göthe sich die Aufgabe gestellt, die Dichterliebe zu einer Prinzessin darzustellen, und daß er diese Aufgabe in der edelsten gar nicht zu übertreffenden Weise gelöst, obgleich er selbst daran gezweifelt, als er geäußert: es bleibe ihm, um den Tasso zu vollenden, nur noch übrig, sich in eine Prinzessin zu verlieben; der Verstoß gegen die Etikette sei nicht die Peripetie, sondern nur der zufällige Anlaß, um den Gegensatz Tassos gegen Antonio aufs schärfete zuzuspitzen, Antonio könne immerhin für den verirrten Dichter ein wahres Mitleid empfinden; was die Umarmung der Prinzessin betreffe, so sei es ja bekannt, daß man an den sittenlosen Höfen am meisten auf äußern Anstand halte; die römischen Gelehrten seien zwar keine großen Kirchenlichter, aber es sei ein feiner Zug von Göthe, daß sein Tasso sie so hoch stelle, der ja selbst an der Neige der Dichtkunst und des 16. Jahrhunderts stehe.

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[98/0106] Gefahr gebracht? ob es denn in jener keinesweges sittenreinen Zeit etwas so ganz ungeheures gewesen sei, eine Prinzessin zu umarmen, daß Antonio davon gleichsam betäubt und versteinert werde? Mein Freund Paul, dessen Steckenpferd die Litteraturgeschichte war, ließ sich die Mühe nicht verdrießen, alle die großen Namen der römischen Gelehrten, vor denen Tasso so vielen Respekt zeigt, im Jöcher nachzuschlagen; er fand die Autoren sehr unbedeutender und längst verschollener Werke am Ende des 16. Jahrhunderts. Diesen negativen Geistern ward erwiedert, daß es hier gar nicht auf das Interesse eines kleinen oder großen Hofes, noch auf die Erwerbung eines kleinen Landstriches ankomme; daß Göthe sich die Aufgabe gestellt, die Dichterliebe zu einer Prinzessin darzustellen, und daß er diese Aufgabe in der edelsten gar nicht zu übertreffenden Weise gelöst, obgleich er selbst daran gezweifelt, als er geäußert: es bleibe ihm, um den Tasso zu vollenden, nur noch übrig, sich in eine Prinzessin zu verlieben; der Verstoß gegen die Etikette sei nicht die Peripetie, sondern nur der zufällige Anlaß, um den Gegensatz Tassos gegen Antonio aufs schärfete zuzuspitzen, Antonio könne immerhin für den verirrten Dichter ein wahres Mitleid empfinden; was die Umarmung der Prinzessin betreffe, so sei es ja bekannt, daß man an den sittenlosen Höfen am meisten auf äußern Anstand halte; die römischen Gelehrten seien zwar keine großen Kirchenlichter, aber es sei ein feiner Zug von Göthe, daß sein Tasso sie so hoch stelle, der ja selbst an der Neige der Dichtkunst und des 16. Jahrhunderts stehe. Diese und viele andere Controversen wurden von uns nach jeder Aufführung besprochen. Ich neigte mich an-

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/106>, abgerufen am 29.04.2024.