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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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Tiedge auf meinen Heros Goethe nicht gut zu sprechen war. Es ließen sich auch kaum entgegengesetztere Richtungen denken, als Tiedges unbestimmte, marklose Gefühlsverschwommenheit und Göthes großartige, sichere Plastik. Ich fühlte wohl, daß auf eine Discussion gar nicht einzugehn sei; aber es war mir interessant, Göthen, den der Kreis der jüngeren Freunde auf den Schild des Ruhmes erhob, von einem ihm gleichaltrigen Genossen tadeln zu hören. Das Gute und Große in Göthes Werken, das Tiedge doch nicht wegleugnen konnte, ward als selbstverständlich mit Stillschweigen übergangen, die Ausstellungen wendeten sich gegen untergeordnete Dinge, gegen den doppelten Schluß der Stella, - in der Ausgabe von 1787 durch Bigamie, in den folgenden Ausgaben durch Selbstmord - gegen die Leichtfertigkeit im Wilhelm Meister, gegen die wahrhaft schlechte Tendenz der Mitschuldigen, ein Stück, das mir ebenfalls von Anfang an widerstand, bei dem weder die Feinheit des Dialogs, noch der goldne Klang der Rhythmen mich mit der Kotzebueschen Gemeinheit des Inhaltes versöhnen konnten. Der Triumph der Empfindsamkeit ward mit Recht als albern und ganz unbedeutend bei Seite geschoben, und als ich den prachtvollen Monolog der Proserpina rühmte, so ward dessen Ungehörigkeit an dieser Stelle auf das schärfste betont. Später fand ich in den Tages- und Jahresheften (1780. 27. p. 5. Ausg. von 1840), daß Göthe selbst darüber sagt: die Proserpina ward freventlich in den Triumph der Empfindsamkeit eingeschaltet und ihre Wirkung vernichtet.

Ein besonders strenges Gericht ließ Tiedge über die Römischen Elegien ergehn, und behauptete, es ständen in der ersten Ausgabe der fünften Elegie v. 17 Worte, die sich

Tiedge auf meinen Heros Goethe nicht gut zu sprechen war. Es ließen sich auch kaum entgegengesetztere Richtungen denken, als Tiedges unbestimmte, marklose Gefühlsverschwommenheit und Göthes großartige, sichere Plastik. Ich fühlte wohl, daß auf eine Discussion gar nicht einzugehn sei; aber es war mir interessant, Göthen, den der Kreis der jüngeren Freunde auf den Schild des Ruhmes erhob, von einem ihm gleichaltrigen Genossen tadeln zu hören. Das Gute und Große in Göthes Werken, das Tiedge doch nicht wegleugnen konnte, ward als selbstverständlich mit Stillschweigen übergangen, die Ausstellungen wendeten sich gegen untergeordnete Dinge, gegen den doppelten Schluß der Stella, – in der Ausgabe von 1787 durch Bigamie, in den folgenden Ausgaben durch Selbstmord – gegen die Leichtfertigkeit im Wilhelm Meister, gegen die wahrhaft schlechte Tendenz der Mitschuldigen, ein Stück, das mir ebenfalls von Anfang an widerstand, bei dem weder die Feinheit des Dialogs, noch der goldne Klang der Rhythmen mich mit der Kotzebueschen Gemeinheit des Inhaltes versöhnen konnten. Der Triumph der Empfindsamkeit ward mit Recht als albern und ganz unbedeutend bei Seite geschoben, und als ich den prachtvollen Monolog der Proserpina rühmte, so ward dessen Ungehörigkeit an dieser Stelle auf das schärfste betont. Später fand ich in den Tages- und Jahresheften (1780. 27. p. 5. Ausg. von 1840), daß Göthe selbst darüber sagt: die Proserpina ward freventlich in den Triumph der Empfindsamkeit eingeschaltet und ihre Wirkung vernichtet.

Ein besonders strenges Gericht ließ Tiedge über die Römischen Elegien ergehn, und behauptete, es ständen in der ersten Ausgabe der fünften Elegie v. 17 Worte, die sich

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Tiedge auf meinen Heros Goethe nicht gut zu sprechen war. Es ließen sich auch kaum entgegengesetztere Richtungen denken, als Tiedges unbestimmte, marklose Gefühlsverschwommenheit und Göthes großartige, sichere Plastik. Ich fühlte wohl, daß auf eine Discussion gar nicht einzugehn sei; aber es war mir interessant, Göthen, den der Kreis der jüngeren Freunde auf den Schild des Ruhmes erhob, von einem ihm gleichaltrigen Genossen tadeln zu hören. Das Gute und Große in Göthes Werken, das Tiedge doch nicht wegleugnen konnte, ward als selbstverständlich mit Stillschweigen übergangen, die Ausstellungen wendeten sich gegen untergeordnete Dinge, gegen den doppelten Schluß der Stella, &#x2013; in der Ausgabe von 1787 durch Bigamie, in den folgenden Ausgaben durch Selbstmord &#x2013; gegen die Leichtfertigkeit im Wilhelm Meister, gegen die wahrhaft schlechte Tendenz der Mitschuldigen, ein Stück, das mir ebenfalls von Anfang an widerstand, bei dem weder die Feinheit des Dialogs, noch der goldne Klang der Rhythmen mich mit der Kotzebueschen Gemeinheit des Inhaltes versöhnen konnten. Der Triumph der Empfindsamkeit ward mit Recht als albern und ganz unbedeutend bei Seite geschoben, und als ich den prachtvollen Monolog der Proserpina rühmte, so ward dessen Ungehörigkeit an dieser Stelle auf das schärfste betont. Später fand ich in den Tages- und Jahresheften (1780. 27. p. 5. Ausg. von 1840), daß Göthe selbst darüber sagt: die Proserpina ward freventlich in den Triumph der Empfindsamkeit eingeschaltet und ihre Wirkung vernichtet. </p><lb/>
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[11/0019] Tiedge auf meinen Heros Goethe nicht gut zu sprechen war. Es ließen sich auch kaum entgegengesetztere Richtungen denken, als Tiedges unbestimmte, marklose Gefühlsverschwommenheit und Göthes großartige, sichere Plastik. Ich fühlte wohl, daß auf eine Discussion gar nicht einzugehn sei; aber es war mir interessant, Göthen, den der Kreis der jüngeren Freunde auf den Schild des Ruhmes erhob, von einem ihm gleichaltrigen Genossen tadeln zu hören. Das Gute und Große in Göthes Werken, das Tiedge doch nicht wegleugnen konnte, ward als selbstverständlich mit Stillschweigen übergangen, die Ausstellungen wendeten sich gegen untergeordnete Dinge, gegen den doppelten Schluß der Stella, – in der Ausgabe von 1787 durch Bigamie, in den folgenden Ausgaben durch Selbstmord – gegen die Leichtfertigkeit im Wilhelm Meister, gegen die wahrhaft schlechte Tendenz der Mitschuldigen, ein Stück, das mir ebenfalls von Anfang an widerstand, bei dem weder die Feinheit des Dialogs, noch der goldne Klang der Rhythmen mich mit der Kotzebueschen Gemeinheit des Inhaltes versöhnen konnten. Der Triumph der Empfindsamkeit ward mit Recht als albern und ganz unbedeutend bei Seite geschoben, und als ich den prachtvollen Monolog der Proserpina rühmte, so ward dessen Ungehörigkeit an dieser Stelle auf das schärfste betont. Später fand ich in den Tages- und Jahresheften (1780. 27. p. 5. Ausg. von 1840), daß Göthe selbst darüber sagt: die Proserpina ward freventlich in den Triumph der Empfindsamkeit eingeschaltet und ihre Wirkung vernichtet. Ein besonders strenges Gericht ließ Tiedge über die Römischen Elegien ergehn, und behauptete, es ständen in der ersten Ausgabe der fünften Elegie v. 17 Worte, die sich

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/19>, abgerufen am 03.05.2024.