Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Wir fanden ein solches Vergnügen an seinen seelenvollen Vorträgen, daß wir im folgenden Semester die griechische Archäologie und die römischen Alterthümer bei ihm belegten. Hier war er recht in seinem Elemente und wußte auf alle Weise die zu erläuternden Gegenstände anschaulich zu machen. Ein Beispiel von vielen ist mir im Gedächtnisse geblieben. Wir wurden eines Abends bei Chelius zu einer Professorengesellschaft geladen, wo Nägele, wie gewöhnlich, das Steckenpferd seines Berufes bestieg, und von der Geburt des Menschen handelte. Er erklärte uns, wie das Kind vor der Geburt keinen Athmungsprozeß vollziehe, sondern wie das Blut durch eine Art von Kreislauf aus den Lungen nach dem Herzen hin und zurückgeführt werde. Sobald aber das Kind an das Licht der Welt tritt, so zieht es Athem durch seine Lungen ein, und nun erst kann man sagen, daß es lebe.

Dieser lehrreichen Auseinandersetzung hatte Creuzer, wie alle andern, mit Aufmerksamkeit zugehört. In einer der nächsten Vorlesungen sprach er über die Einrichtung der römischen Kolonien, und was alles dabei als Vorbereitung beobachtet worden sei; dann fuhr er fort: nachdem nun alles nach Vorschrift vollendet war, und nachdem das Kind gleichsam zum ersten Male durch seine eignen Lungen Athem geholt, so konnte es ins Leben eintreten. - Es mußte dieser Vergleich auch denen klar sein, die jener Abendunterhaltung nicht beigewohnt.

Ein zweistündiges Kollegium, welches Creuzer über Ciceros Brutus las, befriedigte uns weniger. Die historische Einleitung gab zwar alles wünschenswerthe über Zweck und Inhalt des Werkes, allein die exegetische Behandlung stand nicht auf der Höhe des philologischen Wissens, wie

Wir fanden ein solches Vergnügen an seinen seelenvollen Vorträgen, daß wir im folgenden Semester die griechische Archäologie und die römischen Alterthümer bei ihm belegten. Hier war er recht in seinem Elemente und wußte auf alle Weise die zu erläuternden Gegenstände anschaulich zu machen. Ein Beispiel von vielen ist mir im Gedächtnisse geblieben. Wir wurden eines Abends bei Chelius zu einer Professorengesellschaft geladen, wo Nägele, wie gewöhnlich, das Steckenpferd seines Berufes bestieg, und von der Geburt des Menschen handelte. Er erklärte uns, wie das Kind vor der Geburt keinen Athmungsprozeß vollziehe, sondern wie das Blut durch eine Art von Kreislauf aus den Lungen nach dem Herzen hin und zurückgeführt werde. Sobald aber das Kind an das Licht der Welt tritt, so zieht es Athem durch seine Lungen ein, und nun erst kann man sagen, daß es lebe.

Dieser lehrreichen Auseinandersetzung hatte Creuzer, wie alle andern, mit Aufmerksamkeit zugehört. In einer der nächsten Vorlesungen sprach er über die Einrichtung der römischen Kolonien, und was alles dabei als Vorbereitung beobachtet worden sei; dann fuhr er fort: nachdem nun alles nach Vorschrift vollendet war, und nachdem das Kind gleichsam zum ersten Male durch seine eignen Lungen Athem geholt, so konnte es ins Leben eintreten. – Es mußte dieser Vergleich auch denen klar sein, die jener Abendunterhaltung nicht beigewohnt.

Ein zweistündiges Kollegium, welches Creuzer über Ciceros Brutus las, befriedigte uns weniger. Die historische Einleitung gab zwar alles wünschenswerthe über Zweck und Inhalt des Werkes, allein die exegetische Behandlung stand nicht auf der Höhe des philologischen Wissens, wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <pb facs="#f0334" n="326"/>
        </p><lb/>
        <p>Wir fanden ein solches Vergnügen an seinen seelenvollen Vorträgen, daß wir im folgenden Semester die griechische Archäologie und die römischen Alterthümer bei ihm belegten. Hier war er recht in seinem Elemente und wußte auf alle Weise die zu erläuternden Gegenstände anschaulich zu machen. Ein Beispiel von vielen ist mir im Gedächtnisse geblieben. Wir wurden eines Abends bei Chelius zu einer Professorengesellschaft geladen, wo Nägele, wie gewöhnlich, das Steckenpferd seines Berufes bestieg, und von der Geburt des Menschen handelte. Er erklärte uns, wie das Kind vor der Geburt keinen Athmungsprozeß vollziehe, sondern wie das Blut durch eine Art von Kreislauf aus den Lungen nach dem Herzen hin und zurückgeführt werde. Sobald aber das Kind an das Licht der Welt tritt, so zieht es Athem durch seine Lungen ein, und nun erst kann man sagen, daß es lebe. </p><lb/>
        <p>Dieser lehrreichen Auseinandersetzung hatte Creuzer, wie alle andern, mit Aufmerksamkeit zugehört. In einer der nächsten Vorlesungen sprach er über die Einrichtung der römischen Kolonien, und was alles dabei als Vorbereitung beobachtet worden sei; dann fuhr er fort: nachdem nun alles nach Vorschrift vollendet war, und nachdem das Kind gleichsam zum ersten Male durch seine eignen Lungen Athem geholt, so konnte es ins Leben eintreten. &#x2013; Es mußte dieser Vergleich auch denen klar sein, die jener Abendunterhaltung nicht beigewohnt. </p><lb/>
        <p>Ein zweistündiges Kollegium, welches Creuzer über Ciceros Brutus las, befriedigte uns weniger. Die historische Einleitung gab zwar alles wünschenswerthe über Zweck und Inhalt des Werkes, allein die exegetische Behandlung stand nicht auf der Höhe des philologischen Wissens, wie
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0334] Wir fanden ein solches Vergnügen an seinen seelenvollen Vorträgen, daß wir im folgenden Semester die griechische Archäologie und die römischen Alterthümer bei ihm belegten. Hier war er recht in seinem Elemente und wußte auf alle Weise die zu erläuternden Gegenstände anschaulich zu machen. Ein Beispiel von vielen ist mir im Gedächtnisse geblieben. Wir wurden eines Abends bei Chelius zu einer Professorengesellschaft geladen, wo Nägele, wie gewöhnlich, das Steckenpferd seines Berufes bestieg, und von der Geburt des Menschen handelte. Er erklärte uns, wie das Kind vor der Geburt keinen Athmungsprozeß vollziehe, sondern wie das Blut durch eine Art von Kreislauf aus den Lungen nach dem Herzen hin und zurückgeführt werde. Sobald aber das Kind an das Licht der Welt tritt, so zieht es Athem durch seine Lungen ein, und nun erst kann man sagen, daß es lebe. Dieser lehrreichen Auseinandersetzung hatte Creuzer, wie alle andern, mit Aufmerksamkeit zugehört. In einer der nächsten Vorlesungen sprach er über die Einrichtung der römischen Kolonien, und was alles dabei als Vorbereitung beobachtet worden sei; dann fuhr er fort: nachdem nun alles nach Vorschrift vollendet war, und nachdem das Kind gleichsam zum ersten Male durch seine eignen Lungen Athem geholt, so konnte es ins Leben eintreten. – Es mußte dieser Vergleich auch denen klar sein, die jener Abendunterhaltung nicht beigewohnt. Ein zweistündiges Kollegium, welches Creuzer über Ciceros Brutus las, befriedigte uns weniger. Die historische Einleitung gab zwar alles wünschenswerthe über Zweck und Inhalt des Werkes, allein die exegetische Behandlung stand nicht auf der Höhe des philologischen Wissens, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/334
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/334>, abgerufen am 15.06.2024.