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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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versammelten Diplomaten einen guten Begriff zu geben. Im Taumel des Siegesrausches glaubte man sich noch mehr als sonst erlauben zu können. Der wiener Hof veranstaltete mehrere glänzende Ballfeste zu Ehren der fremden Herrscher und Minister. Der Gang der Verhandlungen wurde dadurch in etwas angehalten: daher sagte der greise Fürst von Ligne, der schon unter Friedrich II. für den witzigsten Mann seiner Zeit gegolten hatte: le congres danse, mais il ne marche pas! Zärtliche Verbindungen zwischen den Friedensstiftern und den anwesenden vornehmen und geringen Damen waren an der Tagesordnung. Eifersucht, als ein Zeichen der Schwäche, konnte bei den starken Geistern nicht aufkommen. Kaiser Alexander von Rußland bemühte sich um eine reizende fremde Fürstin. Als er ihr einst einen Vormittagsbesuch machte, begegnete ihm auf der Treppe der Fürst Metternich, der eben von der Dame herabkam, und den Kaiser mit einem graziös-satirischen Lächeln grüßte. Von der armenischen Fürstin Bagration erzählte man, daß sie sich gerühmt habe, es sei ihr gelungen, den ganzen Kongreß ohne alle Zwistigkeiten bei sich zu vereinigen.

Da die Karte von Europa, und besonders die von Deutschland neu zu entwerfen war, so brauchte man vor allen einen tüchtigen Statistiker. Als solcher leistete der Staatsrath Hoffmann aus Berlin die allerwichtigsten Dienste. Er hatte die Seelenzahl jedes deutschen Dorfes im Kopfe, und war bald bei den Specialberathungen, wo es sich um den Austausch und die Kompensation einzelner Landestheile handelte, eine unentbehrliche Person geworden. Man nannte ihn deshalb den Seelen-Hoffmann, oder mit einem anderen Ausdrucke den Seelenverkäufer.

versammelten Diplomaten einen guten Begriff zu geben. Im Taumel des Siegesrausches glaubte man sich noch mehr als sonst erlauben zu können. Der wiener Hof veranstaltete mehrere glänzende Ballfeste zu Ehren der fremden Herrscher und Minister. Der Gang der Verhandlungen wurde dadurch in etwas angehalten: daher sagte der greise Fürst von Ligne, der schon unter Friedrich II. für den witzigsten Mann seiner Zeit gegolten hatte: le congrès danse, mais il ne marche pas! Zärtliche Verbindungen zwischen den Friedensstiftern und den anwesenden vornehmen und geringen Damen waren an der Tagesordnung. Eifersucht, als ein Zeichen der Schwäche, konnte bei den starken Geistern nicht aufkommen. Kaiser Alexander von Rußland bemühte sich um eine reizende fremde Fürstin. Als er ihr einst einen Vormittagsbesuch machte, begegnete ihm auf der Treppe der Fürst Metternich, der eben von der Dame herabkam, und den Kaiser mit einem graziös-satirischen Lächeln grüßte. Von der armenischen Fürstin Bagration erzählte man, daß sie sich gerühmt habe, es sei ihr gelungen, den ganzen Kongreß ohne alle Zwistigkeiten bei sich zu vereinigen.

Da die Karte von Europa, und besonders die von Deutschland neu zu entwerfen war, so brauchte man vor allen einen tüchtigen Statistiker. Als solcher leistete der Staatsrath Hoffmann aus Berlin die allerwichtigsten Dienste. Er hatte die Seelenzahl jedes deutschen Dorfes im Kopfe, und war bald bei den Specialberathungen, wo es sich um den Austausch und die Kompensation einzelner Landestheile handelte, eine unentbehrliche Person geworden. Man nannte ihn deshalb den Seelen-Hoffmann, oder mit einem anderen Ausdrucke den Seelenverkäufer.

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versammelten Diplomaten einen guten Begriff zu geben. Im Taumel des Siegesrausches glaubte man sich noch mehr als sonst erlauben zu können. Der wiener Hof veranstaltete mehrere glänzende Ballfeste zu Ehren der fremden Herrscher und Minister. Der Gang der Verhandlungen wurde dadurch in etwas angehalten: daher sagte der greise Fürst von Ligne, der schon unter Friedrich II. für den witzigsten Mann seiner Zeit gegolten hatte: le congrès danse, mais il ne marche pas! Zärtliche Verbindungen zwischen den Friedensstiftern und den anwesenden vornehmen und geringen Damen waren an der Tagesordnung. Eifersucht, als ein Zeichen der Schwäche, konnte bei den starken Geistern nicht aufkommen. Kaiser Alexander von Rußland bemühte sich um eine reizende fremde Fürstin. Als er ihr einst einen Vormittagsbesuch machte, begegnete ihm auf der Treppe der Fürst Metternich, der eben von der Dame herabkam, und den Kaiser mit einem graziös-satirischen Lächeln grüßte. Von der armenischen Fürstin Bagration erzählte man, daß sie sich gerühmt habe, es sei ihr gelungen, den ganzen Kongreß ohne alle Zwistigkeiten bei sich zu vereinigen. </p><lb/>
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[29/0037] versammelten Diplomaten einen guten Begriff zu geben. Im Taumel des Siegesrausches glaubte man sich noch mehr als sonst erlauben zu können. Der wiener Hof veranstaltete mehrere glänzende Ballfeste zu Ehren der fremden Herrscher und Minister. Der Gang der Verhandlungen wurde dadurch in etwas angehalten: daher sagte der greise Fürst von Ligne, der schon unter Friedrich II. für den witzigsten Mann seiner Zeit gegolten hatte: le congrès danse, mais il ne marche pas! Zärtliche Verbindungen zwischen den Friedensstiftern und den anwesenden vornehmen und geringen Damen waren an der Tagesordnung. Eifersucht, als ein Zeichen der Schwäche, konnte bei den starken Geistern nicht aufkommen. Kaiser Alexander von Rußland bemühte sich um eine reizende fremde Fürstin. Als er ihr einst einen Vormittagsbesuch machte, begegnete ihm auf der Treppe der Fürst Metternich, der eben von der Dame herabkam, und den Kaiser mit einem graziös-satirischen Lächeln grüßte. Von der armenischen Fürstin Bagration erzählte man, daß sie sich gerühmt habe, es sei ihr gelungen, den ganzen Kongreß ohne alle Zwistigkeiten bei sich zu vereinigen. Da die Karte von Europa, und besonders die von Deutschland neu zu entwerfen war, so brauchte man vor allen einen tüchtigen Statistiker. Als solcher leistete der Staatsrath Hoffmann aus Berlin die allerwichtigsten Dienste. Er hatte die Seelenzahl jedes deutschen Dorfes im Kopfe, und war bald bei den Specialberathungen, wo es sich um den Austausch und die Kompensation einzelner Landestheile handelte, eine unentbehrliche Person geworden. Man nannte ihn deshalb den Seelen-Hoffmann, oder mit einem anderen Ausdrucke den Seelenverkäufer.

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/37>, abgerufen am 27.04.2024.