Zucker-Eiland nach dem andern aus dem Back¬ ofen auf der Schaufel behutsam heraus holte: -- "O ich bin so glücklich!" dacht' er und sah nach, ob man keine Armenbüchse an die Papiertapeten geschraubt, weil er in keinem Wirthshause ver¬ gaß, in diese Stimm-Rize unbekannter Klag¬ stimmen, so viel er konnte, zu legen; aber das Zimmer war zu nett zu Wohlthaten.
Es wurde sehr dunkel. Der frühe Herbst¬ mond stand schon als ein halbes Silber-Diadem auf einem Gebirgshaupt. Der Kellner kam mit Licht, Walt sagte: ich brauche keines, ich esse bei dem Hr. General. Er wollte das Stuben¬ lange Mondlicht behalten. An der Fensterwand wurde ihm endlich dadurch eine und die andere Reise-Sentenz von frühern Passagieren erleuch¬ tet. Er laß die ganze Wand durch, nicht ohne Zufriedenheit mit den jugendlichen Sentenzen, welche sämmtlich Liebe und Freundschaft und Erden-Verachtung mit der Bleifeder anpriesen. -- "Ich weiß so gut als jemand -- schreibt er im Tagebuch -- daß es fast lächerlich, wenn nicht gar unbillig ist, sich an fremde Zimmer¬
Zucker-Eiland nach dem andern aus dem Back¬ ofen auf der Schaufel behutſam heraus holte: — „O ich bin ſo gluͤcklich!“ dacht' er und ſah nach, ob man keine Armenbuͤchſe an die Papiertapeten geſchraubt, weil er in keinem Wirthshauſe ver¬ gaß, in dieſe Stimm-Rize unbekannter Klag¬ ſtimmen, ſo viel er konnte, zu legen; aber das Zimmer war zu nett zu Wohlthaten.
Es wurde ſehr dunkel. Der fruͤhe Herbſt¬ mond ſtand ſchon als ein halbes Silber-Diadem auf einem Gebirgshaupt. Der Kellner kam mit Licht, Walt ſagte: ich brauche keines, ich eſſe bei dem Hr. General. Er wollte das Stuben¬ lange Mondlicht behalten. An der Fenſterwand wurde ihm endlich dadurch eine und die andere Reiſe-Sentenz von fruͤhern Paſſagieren erleuch¬ tet. Er laß die ganze Wand durch, nicht ohne Zufriedenheit mit den jugendlichen Sentenzen, welche ſaͤmmtlich Liebe und Freundſchaft und Erden-Verachtung mit der Bleifeder anprieſen. — „Ich weiß ſo gut als jemand — ſchreibt er im Tagebuch — daß es faſt laͤcherlich, wenn nicht gar unbillig iſt, ſich an fremde Zimmer¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0178"n="170"/>
Zucker-Eiland nach dem andern aus dem Back¬<lb/>
ofen auf der Schaufel behutſam heraus holte: —<lb/>„O ich bin ſo gluͤcklich!“ dacht' er und ſah nach,<lb/>
ob man keine Armenbuͤchſe an die Papiertapeten<lb/>
geſchraubt, weil er in keinem Wirthshauſe ver¬<lb/>
gaß, in dieſe Stimm-Rize unbekannter Klag¬<lb/>ſtimmen, ſo viel er konnte, zu legen; aber das<lb/>
Zimmer war zu nett zu Wohlthaten.</p><lb/><p>Es wurde ſehr dunkel. Der fruͤhe Herbſt¬<lb/>
mond ſtand ſchon als ein halbes Silber-Diadem<lb/>
auf einem Gebirgshaupt. Der Kellner kam mit<lb/>
Licht, Walt ſagte: ich brauche keines, ich eſſe<lb/>
bei dem Hr. General. Er wollte das Stuben¬<lb/>
lange Mondlicht behalten. An der Fenſterwand<lb/>
wurde ihm endlich dadurch eine und die andere<lb/>
Reiſe-Sentenz von fruͤhern Paſſagieren erleuch¬<lb/>
tet. Er laß die ganze Wand durch, nicht ohne<lb/>
Zufriedenheit mit den jugendlichen Sentenzen,<lb/>
welche ſaͤmmtlich Liebe und Freundſchaft und<lb/>
Erden-Verachtung mit der Bleifeder anprieſen.<lb/>—„Ich weiß ſo gut als jemand —ſchreibt er<lb/>
im Tagebuch — daß es faſt laͤcherlich, wenn<lb/>
nicht gar unbillig iſt, ſich an fremde Zimmer¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[170/0178]
Zucker-Eiland nach dem andern aus dem Back¬
ofen auf der Schaufel behutſam heraus holte: —
„O ich bin ſo gluͤcklich!“ dacht' er und ſah nach,
ob man keine Armenbuͤchſe an die Papiertapeten
geſchraubt, weil er in keinem Wirthshauſe ver¬
gaß, in dieſe Stimm-Rize unbekannter Klag¬
ſtimmen, ſo viel er konnte, zu legen; aber das
Zimmer war zu nett zu Wohlthaten.
Es wurde ſehr dunkel. Der fruͤhe Herbſt¬
mond ſtand ſchon als ein halbes Silber-Diadem
auf einem Gebirgshaupt. Der Kellner kam mit
Licht, Walt ſagte: ich brauche keines, ich eſſe
bei dem Hr. General. Er wollte das Stuben¬
lange Mondlicht behalten. An der Fenſterwand
wurde ihm endlich dadurch eine und die andere
Reiſe-Sentenz von fruͤhern Paſſagieren erleuch¬
tet. Er laß die ganze Wand durch, nicht ohne
Zufriedenheit mit den jugendlichen Sentenzen,
welche ſaͤmmtlich Liebe und Freundſchaft und
Erden-Verachtung mit der Bleifeder anprieſen.
— „Ich weiß ſo gut als jemand — ſchreibt er
im Tagebuch — daß es faſt laͤcherlich, wenn
nicht gar unbillig iſt, ſich an fremde Zimmer¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/178>, abgerufen am 17.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.