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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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ten und Gradualdisputationen gegen unmodische
Thorheiten, indeß es mit modischen Lastern in Sub¬
sidientraktaten steht. Er holte mit einem weiten
Athem aus und bewies daß das Glück eines Staa¬
tes wie eines Menschen nicht im Reichthum, son¬
dern im Gebrauche des Reichthums, nicht in seinem
merkantilischen sondern moralischen Werthe bestehe
-- daß die Ausscheurung des antiken Sauerteigs und
unsre meisten Institutionen und Novellen und Edikte
nur die fürstlichen Gefälle, nicht die Moralität zu
erhöhen suchten und daß man begehre, die Laster und
die Unterthanen brächten wie die alten Juden, ihre
Opfer nur in einer Stadt, nämlich in der Residenz¬
stadt -- daß die Menschheit von jeher sich nur die
Nägel an den nakten Händen, nicht an den ver¬
hüllten Füßen, die oft darüber selber herunter ka¬
men, beschnitten habe -- daß Aufwands- und Pracht¬
gesetze den Fürsten noch nöthiger wären wenigstens
den höchsten Ständen als den tiefsten -- daß Rom
seinen vielen Feiertagen viel von seiner Vaterlands¬
liebe verdanke. . . . Flamin hatte für die Cursiv-
und Perlenschrift der häuslichen Freude, für Infu¬
sions-Blumen des Vergnügens keine Augen: dafür
hielt seine Seele mit einem Brutus gleichen Schritt,
wenn er groß ans Bild des Pompejus trat und mit
einem Seufzer über das Fatum die Parzenscheere in
das gröste Herz der Erde trieb, das seinen Werth

Hesperus. I. Th. H

ten und Gradualdisputationen gegen unmodiſche
Thorheiten, indeß es mit modiſchen Laſtern in Sub¬
ſidientraktaten ſteht. Er holte mit einem weiten
Athem aus und bewies daß das Gluͤck eines Staa¬
tes wie eines Menſchen nicht im Reichthum, ſon¬
dern im Gebrauche des Reichthums, nicht in ſeinem
merkantiliſchen ſondern moraliſchen Werthe beſtehe
— daß die Ausſcheurung des antiken Sauerteigs und
unſre meiſten Inſtitutionen und Novellen und Edikte
nur die fuͤrſtlichen Gefaͤlle, nicht die Moralitaͤt zu
erhoͤhen ſuchten und daß man begehre, die Laſter und
die Unterthanen braͤchten wie die alten Juden, ihre
Opfer nur in einer Stadt, naͤmlich in der Reſidenz¬
ſtadt — daß die Menſchheit von jeher ſich nur die
Naͤgel an den nakten Haͤnden, nicht an den ver¬
huͤllten Fuͤßen, die oft daruͤber ſelber herunter ka¬
men, beſchnitten habe — daß Aufwands- und Pracht¬
geſetze den Fuͤrſten noch noͤthiger waͤren wenigſtens
den hoͤchſten Staͤnden als den tiefſten — daß Rom
ſeinen vielen Feiertagen viel von ſeiner Vaterlands¬
liebe verdanke. . . . Flamin hatte fuͤr die Curſiv-
und Perlenſchrift der haͤuslichen Freude, fuͤr Infu¬
ſions-Blumen des Vergnuͤgens keine Augen: dafuͤr
hielt ſeine Seele mit einem Brutus gleichen Schritt,
wenn er groß ans Bild des Pompejus trat und mit
einem Seufzer uͤber das Fatum die Parzenſcheere in
das groͤſte Herz der Erde trieb, das ſeinen Werth

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[113/0124] ten und Gradualdisputationen gegen unmodiſche Thorheiten, indeß es mit modiſchen Laſtern in Sub¬ ſidientraktaten ſteht. Er holte mit einem weiten Athem aus und bewies daß das Gluͤck eines Staa¬ tes wie eines Menſchen nicht im Reichthum, ſon¬ dern im Gebrauche des Reichthums, nicht in ſeinem merkantiliſchen ſondern moraliſchen Werthe beſtehe — daß die Ausſcheurung des antiken Sauerteigs und unſre meiſten Inſtitutionen und Novellen und Edikte nur die fuͤrſtlichen Gefaͤlle, nicht die Moralitaͤt zu erhoͤhen ſuchten und daß man begehre, die Laſter und die Unterthanen braͤchten wie die alten Juden, ihre Opfer nur in einer Stadt, naͤmlich in der Reſidenz¬ ſtadt — daß die Menſchheit von jeher ſich nur die Naͤgel an den nakten Haͤnden, nicht an den ver¬ huͤllten Fuͤßen, die oft daruͤber ſelber herunter ka¬ men, beſchnitten habe — daß Aufwands- und Pracht¬ geſetze den Fuͤrſten noch noͤthiger waͤren wenigſtens den hoͤchſten Staͤnden als den tiefſten — daß Rom ſeinen vielen Feiertagen viel von ſeiner Vaterlands¬ liebe verdanke. . . . Flamin hatte fuͤr die Curſiv- und Perlenſchrift der haͤuslichen Freude, fuͤr Infu¬ ſions-Blumen des Vergnuͤgens keine Augen: dafuͤr hielt ſeine Seele mit einem Brutus gleichen Schritt, wenn er groß ans Bild des Pompejus trat und mit einem Seufzer uͤber das Fatum die Parzenſcheere in das groͤſte Herz der Erde trieb, das ſeinen Werth Heſperus. I. Th. H

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/124>, abgerufen am 12.05.2024.