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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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schen überkräftigen Menschen eine schönere Harmo¬
nie des Herzens, aber den verfeinerten kalten Men¬
schen nehmen sie mehr als sie geben: jene Genies
gleichen den englischen Gärten, die das Alter immer
grüner, voller, belaubter macht; hingegen der Welt¬
mann wird wie ein französischer durch die Jahre mit
ausgedorrten und entstellten Aesten überdeckt.

Viktor wurde ängstlicher; jedes Wort, das er
ihr abgewann, hielt er für Tempelraub an seinem
Freund, da ohnehin der letztere nicht so gut als er
die Kunst verstand, mit einer Frau in ein Gespräch
zu kommen. Er hatte nicht den Muth zu glänzen,
weil er dadurch um ihren Beifall mit seinem Freun¬
de zu wetteifern besorgte. Sein Flamin kam ihm
heute länger, schöner, besser vor; und er sich kürzer
und dünner. Er wünschte tausendmal, sein Vater
wäre schon da, damit er ihm Flamins Bitte, ihm
Klotildens Besitz leichter zu machen, mit dem grö߬
ten Feuer übergeben könnte.

Endlich kam er, und Viktor athmete wieder voll.
Der gute Mensch sucht oft durch aufopfernde Tha¬
ten
sein Gewissen wieder mit seinen Gedanken
auszusöhnen. Mit herzklopfendem Enthusiasmus war¬
tete er auf die Minute der Einsamkeit. Ein Garten
isolirt und verbindet Leute auf die leichteste Weise
und nur darin sollte man Geheimnisse vertheilen.
Endlich konnte er in einer Laube, die sich an vier

ſchen uͤberkraͤftigen Menſchen eine ſchoͤnere Harmo¬
nie des Herzens, aber den verfeinerten kalten Men¬
ſchen nehmen ſie mehr als ſie geben: jene Genies
gleichen den engliſchen Gaͤrten, die das Alter immer
gruͤner, voller, belaubter macht; hingegen der Welt¬
mann wird wie ein franzoͤſiſcher durch die Jahre mit
ausgedorrten und entſtellten Aeſten uͤberdeckt.

Viktor wurde aͤngſtlicher; jedes Wort, das er
ihr abgewann, hielt er fuͤr Tempelraub an ſeinem
Freund, da ohnehin der letztere nicht ſo gut als er
die Kunſt verſtand, mit einer Frau in ein Geſpraͤch
zu kommen. Er hatte nicht den Muth zu glaͤnzen,
weil er dadurch um ihren Beifall mit ſeinem Freun¬
de zu wetteifern beſorgte. Sein Flamin kam ihm
heute laͤnger, ſchoͤner, beſſer vor; und er ſich kuͤrzer
und duͤnner. Er wuͤnſchte tauſendmal, ſein Vater
waͤre ſchon da, damit er ihm Flamins Bitte, ihm
Klotildens Beſitz leichter zu machen, mit dem groͤ߬
ten Feuer uͤbergeben koͤnnte.

Endlich kam er, und Viktor athmete wieder voll.
Der gute Menſch ſucht oft durch aufopfernde Tha¬
ten
ſein Gewiſſen wieder mit ſeinen Gedanken
auszuſoͤhnen. Mit herzklopfendem Enthuſiasmus war¬
tete er auf die Minute der Einſamkeit. Ein Garten
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und nur darin ſollte man Geheimniſſe vertheilen.
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[139/0150] ſchen uͤberkraͤftigen Menſchen eine ſchoͤnere Harmo¬ nie des Herzens, aber den verfeinerten kalten Men¬ ſchen nehmen ſie mehr als ſie geben: jene Genies gleichen den engliſchen Gaͤrten, die das Alter immer gruͤner, voller, belaubter macht; hingegen der Welt¬ mann wird wie ein franzoͤſiſcher durch die Jahre mit ausgedorrten und entſtellten Aeſten uͤberdeckt. Viktor wurde aͤngſtlicher; jedes Wort, das er ihr abgewann, hielt er fuͤr Tempelraub an ſeinem Freund, da ohnehin der letztere nicht ſo gut als er die Kunſt verſtand, mit einer Frau in ein Geſpraͤch zu kommen. Er hatte nicht den Muth zu glaͤnzen, weil er dadurch um ihren Beifall mit ſeinem Freun¬ de zu wetteifern beſorgte. Sein Flamin kam ihm heute laͤnger, ſchoͤner, beſſer vor; und er ſich kuͤrzer und duͤnner. Er wuͤnſchte tauſendmal, ſein Vater waͤre ſchon da, damit er ihm Flamins Bitte, ihm Klotildens Beſitz leichter zu machen, mit dem groͤ߬ ten Feuer uͤbergeben koͤnnte. Endlich kam er, und Viktor athmete wieder voll. Der gute Menſch ſucht oft durch aufopfernde Tha¬ ten ſein Gewiſſen wieder mit ſeinen Gedanken auszuſoͤhnen. Mit herzklopfendem Enthuſiasmus war¬ tete er auf die Minute der Einſamkeit. Ein Garten iſolirt und verbindet Leute auf die leichteſte Weiſe und nur darin ſollte man Geheimniſſe vertheilen. Endlich konnte er in einer Laube, die ſich an vier

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/150>, abgerufen am 11.05.2024.