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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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stellte ihm alles dieses vor; aber er glaubte es selber
nicht recht: ihn übermannte der hohe Mensch, der
seinen Eintritt in den Todesschatten so zuverläßig wie
einen Eintritt des Mondes in den Erdschatten ansag
te. -- Wir wollen dem Emanuel vergeben und uns
deswegen nicht für weiser halten, weil er schmärme¬
rischer ist. -- Am meisten wurde er durch Emanuels
Wahn getröstet, daß ihm vor seinem Tode erst sein
verstorbner Vater erscheinen werde.

Viktor zögerte und wollte nicht zögern, hinderte
als Arzt das Sprechen des Emanuels, um sich die
Entschuldigung eines unschädlichen Aufschubs zu
machen und wurde eben, weil er selber wenig zu
reden suchte, immer betrübter. -- Ach wie kannst du
schon heute von ihm eilen, von diesem Engel, der
vielleicht über dem nächsten Grabe verschwindet? --
Es muß dir hart fallen, da es schon so schwer ist,
vom Maienthal voll Blüten, vom Blinden voll sanf¬
ter Töne wegzugehen -- schmerzlich ist hier der
letzte Händedruck, Viktor, und schön jede Verzö¬
gerung!

Er beschloß, zu Nachts zu scheiden, weil eine
Trennung am Morgen zu lange wehe thut, und die
Stelle des Herzens, wo sich das geliebte abgerissen,
den ganzen Tag fortblutet. Emanuel hätte Abends
sich wieder ins Stift entfernen sollen wie gestern:
Viktor hätte seine gefüllten Augenhölen, mit denen

ſtellte ihm alles dieſes vor; aber er glaubte es ſelber
nicht recht: ihn uͤbermannte der hohe Menſch, der
ſeinen Eintritt in den Todesſchatten ſo zuverlaͤßig wie
einen Eintritt des Mondes in den Erdſchatten anſag
te. — Wir wollen dem Emanuel vergeben und uns
deswegen nicht fuͤr weiſer halten, weil er ſchmaͤrme¬
riſcher iſt. — Am meiſten wurde er durch Emanuels
Wahn getroͤſtet, daß ihm vor ſeinem Tode erſt ſein
verſtorbner Vater erſcheinen werde.

Viktor zoͤgerte und wollte nicht zoͤgern, hinderte
als Arzt das Sprechen des Emanuels, um ſich die
Entſchuldigung eines unſchaͤdlichen Aufſchubs zu
machen und wurde eben, weil er ſelber wenig zu
reden ſuchte, immer betruͤbter. — Ach wie kannſt du
ſchon heute von ihm eilen, von dieſem Engel, der
vielleicht uͤber dem naͤchſten Grabe verſchwindet? —
Es muß dir hart fallen, da es ſchon ſo ſchwer iſt,
vom Maienthal voll Bluͤten, vom Blinden voll ſanf¬
ter Toͤne wegzugehen — ſchmerzlich iſt hier der
letzte Haͤndedruck, Viktor, und ſchoͤn jede Verzoͤ¬
gerung!

Er beſchloß, zu Nachts zu ſcheiden, weil eine
Trennung am Morgen zu lange wehe thut, und die
Stelle des Herzens, wo ſich das geliebte abgeriſſen,
den ganzen Tag fortblutet. Emanuel haͤtte Abends
ſich wieder ins Stift entfernen ſollen wie geſtern:
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[347/0358] ſtellte ihm alles dieſes vor; aber er glaubte es ſelber nicht recht: ihn uͤbermannte der hohe Menſch, der ſeinen Eintritt in den Todesſchatten ſo zuverlaͤßig wie einen Eintritt des Mondes in den Erdſchatten anſag te. — Wir wollen dem Emanuel vergeben und uns deswegen nicht fuͤr weiſer halten, weil er ſchmaͤrme¬ riſcher iſt. — Am meiſten wurde er durch Emanuels Wahn getroͤſtet, daß ihm vor ſeinem Tode erſt ſein verſtorbner Vater erſcheinen werde. Viktor zoͤgerte und wollte nicht zoͤgern, hinderte als Arzt das Sprechen des Emanuels, um ſich die Entſchuldigung eines unſchaͤdlichen Aufſchubs zu machen und wurde eben, weil er ſelber wenig zu reden ſuchte, immer betruͤbter. — Ach wie kannſt du ſchon heute von ihm eilen, von dieſem Engel, der vielleicht uͤber dem naͤchſten Grabe verſchwindet? — Es muß dir hart fallen, da es ſchon ſo ſchwer iſt, vom Maienthal voll Bluͤten, vom Blinden voll ſanf¬ ter Toͤne wegzugehen — ſchmerzlich iſt hier der letzte Haͤndedruck, Viktor, und ſchoͤn jede Verzoͤ¬ gerung! Er beſchloß, zu Nachts zu ſcheiden, weil eine Trennung am Morgen zu lange wehe thut, und die Stelle des Herzens, wo ſich das geliebte abgeriſſen, den ganzen Tag fortblutet. Emanuel haͤtte Abends ſich wieder ins Stift entfernen ſollen wie geſtern: Viktor haͤtte ſeine gefuͤllten Augenhoͤlen, mit denen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/358>, abgerufen am 15.05.2024.