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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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sie in der Todesstunde durch Klotilde schreiben las¬
sen; und trug ihn noch bei sich. Wahrscheinlich
hatte ein Herz voll vergeblicher Liebe die schöne
Schwärmerin unter die Erde gezogen. Viktor bat
sie mit schimmernden Augen um den Brief; er schlug
ihn auf im Mondenlicht und als er die geliebten
Züge seiner verlornen Klotilde erblickte, weinte sein
ganzes Herz. --

Gute Schwster,

Leb' auf immer wohl! Laß mich das zuerst sagen,
weil ich nicht weiß, welche Minute mir den Mund
verschließt. Die Gewitter meines Lebens ziehen
heim. Es wird schon kühl um meine Seele. Ich
sage diesen Abschied und meinen herzlichsten Wunsch
für dein Wohlergehen, meiner Freundin Klotilde in
die Feder. Gieb den Einschluß meinen lieben Eltern
und füge deine Bitte an meine, mich in meinem
schönen Maienthal zu lassen, wenn ich vorüber bin.
Ich sehe jetzt durch das Fenster die Rosenstaude, die
neben dem Gärtgen des Küsters auf dem Kirchhofe
stehet -- dort wird mir eine Stelle gegeben, die
wie eine Narbe bezeuget, daß ich da gewesen, und
ein schwarzes Kreuz mit den sechs weißen Buchsta¬
ben Giulia -- Mehr nicht. Liebe Schwester, lass'
es ja nicht zu daß sie meinen Staub in ein Erbbe¬
gräbniß sperren -- O nein, er soll aus Maienthals

ſie in der Todesſtunde durch Klotilde ſchreiben laſ¬
ſen; und trug ihn noch bei ſich. Wahrſcheinlich
hatte ein Herz voll vergeblicher Liebe die ſchoͤne
Schwaͤrmerin unter die Erde gezogen. Viktor bat
ſie mit ſchimmernden Augen um den Brief; er ſchlug
ihn auf im Mondenlicht und als er die geliebten
Zuͤge ſeiner verlornen Klotilde erblickte, weinte ſein
ganzes Herz. —

Gute Schwſter,

Leb' auf immer wohl! Laß mich das zuerſt ſagen,
weil ich nicht weiß, welche Minute mir den Mund
verſchließt. Die Gewitter meines Lebens ziehen
heim. Es wird ſchon kuͤhl um meine Seele. Ich
ſage dieſen Abſchied und meinen herzlichſten Wunſch
fuͤr dein Wohlergehen, meiner Freundin Klotilde in
die Feder. Gieb den Einſchluß meinen lieben Eltern
und fuͤge deine Bitte an meine, mich in meinem
ſchoͤnen Maienthal zu laſſen, wenn ich voruͤber bin.
Ich ſehe jetzt durch das Fenſter die Roſenſtaude, die
neben dem Gaͤrtgen des Kuͤſters auf dem Kirchhofe
ſtehet — dort wird mir eine Stelle gegeben, die
wie eine Narbe bezeuget, daß ich da geweſen, und
ein ſchwarzes Kreuz mit den ſechs weißen Buchſta¬
ben Giulia — Mehr nicht. Liebe Schweſter, laſſ'
es ja nicht zu daß ſie meinen Staub in ein Erbbe¬
graͤbniß ſperren — O nein, er ſoll aus Maienthals

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[182/0192] ſie in der Todesſtunde durch Klotilde ſchreiben laſ¬ ſen; und trug ihn noch bei ſich. Wahrſcheinlich hatte ein Herz voll vergeblicher Liebe die ſchoͤne Schwaͤrmerin unter die Erde gezogen. Viktor bat ſie mit ſchimmernden Augen um den Brief; er ſchlug ihn auf im Mondenlicht und als er die geliebten Zuͤge ſeiner verlornen Klotilde erblickte, weinte ſein ganzes Herz. — Gute Schwſter, Leb' auf immer wohl! Laß mich das zuerſt ſagen, weil ich nicht weiß, welche Minute mir den Mund verſchließt. Die Gewitter meines Lebens ziehen heim. Es wird ſchon kuͤhl um meine Seele. Ich ſage dieſen Abſchied und meinen herzlichſten Wunſch fuͤr dein Wohlergehen, meiner Freundin Klotilde in die Feder. Gieb den Einſchluß meinen lieben Eltern und fuͤge deine Bitte an meine, mich in meinem ſchoͤnen Maienthal zu laſſen, wenn ich voruͤber bin. Ich ſehe jetzt durch das Fenſter die Roſenſtaude, die neben dem Gaͤrtgen des Kuͤſters auf dem Kirchhofe ſtehet — dort wird mir eine Stelle gegeben, die wie eine Narbe bezeuget, daß ich da geweſen, und ein ſchwarzes Kreuz mit den ſechs weißen Buchſta¬ ben Giulia — Mehr nicht. Liebe Schweſter, laſſ' es ja nicht zu daß ſie meinen Staub in ein Erbbe¬ graͤbniß ſperren — O nein, er ſoll aus Maienthals

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/192>, abgerufen am 06.05.2024.