Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Landtag sitzen -- Aber da sie ihn fortgeschickt
hatte, um bei ihrer Mutter anzufragen, wer heute
Abends zum Cercle komme: so sagte sie dem Medi¬
kus: "Sie wissen nicht was ich meinte. Wir haben
"am Hofe eine kranke Dame, die Ihre leibhafte Pa¬
"storstochter ist -- Und mein Bruder hat nicht so
"viel oder nicht so wenig Geist, um den Armenka¬
"techeten zu machen." Viktor fuhr zurück brach ab
und ging ab.

Warum? Wie so? Weswegen? -- Aber merkt
man denn nicht, daß die kranke Dame Klotilde seyn
soll, die Mazens feinen Annäherungen zur Schall-
und Schußweite des Herzens zu entfliehen sucht?
Ueberhaupt hatte Viktor wohl gesehen, daß der Ev¬
angelist gegen Klotilden bisher eine verbindlichere
Rolle spiele als er vor ihrem Einzuge in sein Esku¬
rial- und Raubschloß durchmachte; aber Viktor hatte
diese Höflichkeit eben diesem Einquartieren zugeschrie¬
ben. Jetzt hingegen lag die Karte von Mazens Plan
aufgeschlagen da: er hatte einer gegen ihn gleichgülti¬
gen Person darum mit dem Scheine der Ver¬
achtung (die er aber fein mehr auf ihren künftigen
kleinen Kassenbestand als auf ihre Reize fallen ließ)
absichtlich begegnet, um dadurch ihre Aufmerksam¬
keit -- diese Thürnachbarin der Liebe -- und nach¬
her durch den schnellen Wechsel mit Gefälligkeit noch
mehr als diese Aufmerksamkeit zu gewinnen. O!

dem Landtag ſitzen — Aber da ſie ihn fortgeſchickt
hatte, um bei ihrer Mutter anzufragen, wer heute
Abends zum Cercle komme: ſo ſagte ſie dem Medi¬
kus: »Sie wiſſen nicht was ich meinte. Wir haben
»am Hofe eine kranke Dame, die Ihre leibhafte Pa¬
»ſtorstochter iſt — Und mein Bruder hat nicht ſo
»viel oder nicht ſo wenig Geiſt, um den Armenka¬
»techeten zu machen.« Viktor fuhr zuruͤck brach ab
und ging ab.

Warum? Wie ſo? Weswegen? — Aber merkt
man denn nicht, daß die kranke Dame Klotilde ſeyn
ſoll, die Mazens feinen Annaͤherungen zur Schall-
und Schußweite des Herzens zu entfliehen ſucht?
Ueberhaupt hatte Viktor wohl geſehen, daß der Ev¬
angeliſt gegen Klotilden bisher eine verbindlichere
Rolle ſpiele als er vor ihrem Einzuge in ſein Eſku¬
rial- und Raubſchloß durchmachte; aber Viktor hatte
dieſe Hoͤflichkeit eben dieſem Einquartieren zugeſchrie¬
ben. Jetzt hingegen lag die Karte von Mazens Plan
aufgeſchlagen da: er hatte einer gegen ihn gleichguͤlti¬
gen Perſon darum mit dem Scheine der Ver¬
achtung (die er aber fein mehr auf ihren kuͤnftigen
kleinen Kaſſenbeſtand als auf ihre Reize fallen ließ)
abſichtlich begegnet, um dadurch ihre Aufmerkſam¬
keit — dieſe Thuͤrnachbarin der Liebe — und nach¬
her durch den ſchnellen Wechſel mit Gefaͤlligkeit noch
mehr als dieſe Aufmerkſamkeit zu gewinnen. O!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0241" n="231"/>
dem Landtag &#x017F;itzen &#x2014; Aber da &#x017F;ie ihn fortge&#x017F;chickt<lb/>
hatte, um bei ihrer Mutter anzufragen, wer heute<lb/>
Abends zum Cercle komme: &#x017F;o &#x017F;agte &#x017F;ie dem Medi¬<lb/>
kus: »Sie wi&#x017F;&#x017F;en nicht was ich meinte. Wir haben<lb/>
»am Hofe eine kranke Dame, die Ihre leibhafte Pa¬<lb/>
»&#x017F;torstochter i&#x017F;t &#x2014; Und mein Bruder hat nicht &#x017F;o<lb/>
»viel oder nicht &#x017F;o wenig Gei&#x017F;t, um den Armenka¬<lb/>
»techeten zu machen.« Viktor fuhr zuru&#x0364;ck brach ab<lb/>
und ging ab.</p><lb/>
          <p>Warum? Wie &#x017F;o? Weswegen? &#x2014; Aber merkt<lb/>
man denn nicht, daß die kranke Dame Klotilde &#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;oll, die Mazens feinen Anna&#x0364;herungen zur Schall-<lb/>
und Schußweite des Herzens zu entfliehen &#x017F;ucht?<lb/>
Ueberhaupt hatte Viktor wohl ge&#x017F;ehen, daß der Ev¬<lb/>
angeli&#x017F;t gegen Klotilden bisher eine verbindlichere<lb/>
Rolle &#x017F;piele als er vor ihrem Einzuge in &#x017F;ein E&#x017F;ku¬<lb/>
rial- und Raub&#x017F;chloß durchmachte; aber Viktor hatte<lb/>
die&#x017F;e Ho&#x0364;flichkeit eben die&#x017F;em Einquartieren zuge&#x017F;chrie¬<lb/>
ben. Jetzt hingegen lag die Karte von Mazens Plan<lb/>
aufge&#x017F;chlagen da: er hatte einer gegen ihn gleichgu&#x0364;lti¬<lb/>
gen Per&#x017F;on darum mit dem Scheine der Ver¬<lb/>
achtung (die er aber fein mehr auf ihren ku&#x0364;nftigen<lb/>
kleinen Ka&#x017F;&#x017F;enbe&#x017F;tand als auf ihre Reize fallen ließ)<lb/>
ab&#x017F;ichtlich begegnet, um dadurch ihre Aufmerk&#x017F;am¬<lb/>
keit &#x2014; die&#x017F;e Thu&#x0364;rnachbarin der Liebe &#x2014; und nach¬<lb/>
her durch den &#x017F;chnellen Wech&#x017F;el mit Gefa&#x0364;lligkeit noch<lb/>
mehr als die&#x017F;e Aufmerk&#x017F;amkeit zu gewinnen. O!<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0241] dem Landtag ſitzen — Aber da ſie ihn fortgeſchickt hatte, um bei ihrer Mutter anzufragen, wer heute Abends zum Cercle komme: ſo ſagte ſie dem Medi¬ kus: »Sie wiſſen nicht was ich meinte. Wir haben »am Hofe eine kranke Dame, die Ihre leibhafte Pa¬ »ſtorstochter iſt — Und mein Bruder hat nicht ſo »viel oder nicht ſo wenig Geiſt, um den Armenka¬ »techeten zu machen.« Viktor fuhr zuruͤck brach ab und ging ab. Warum? Wie ſo? Weswegen? — Aber merkt man denn nicht, daß die kranke Dame Klotilde ſeyn ſoll, die Mazens feinen Annaͤherungen zur Schall- und Schußweite des Herzens zu entfliehen ſucht? Ueberhaupt hatte Viktor wohl geſehen, daß der Ev¬ angeliſt gegen Klotilden bisher eine verbindlichere Rolle ſpiele als er vor ihrem Einzuge in ſein Eſku¬ rial- und Raubſchloß durchmachte; aber Viktor hatte dieſe Hoͤflichkeit eben dieſem Einquartieren zugeſchrie¬ ben. Jetzt hingegen lag die Karte von Mazens Plan aufgeſchlagen da: er hatte einer gegen ihn gleichguͤlti¬ gen Perſon darum mit dem Scheine der Ver¬ achtung (die er aber fein mehr auf ihren kuͤnftigen kleinen Kaſſenbeſtand als auf ihre Reize fallen ließ) abſichtlich begegnet, um dadurch ihre Aufmerkſam¬ keit — dieſe Thuͤrnachbarin der Liebe — und nach¬ her durch den ſchnellen Wechſel mit Gefaͤlligkeit noch mehr als dieſe Aufmerkſamkeit zu gewinnen. O!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/241
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/241>, abgerufen am 06.05.2024.