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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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denn das muß selber entschuldigt werden -- es ist
aber auch nur gar zu gewiß, daß gewisse Menschen,
die zu Philosophen oder zu Dichtern organisirt sind,
gerade dann und zwar allemal statt ihres Zustandes
allgemeine Ideen beschauen, wo es andere gar nicht
können und nichts sind als Ichs, nämlich in den
größten Gefahren, in den größten Leiden, in den
größten Freuden. --

Ein Billiger schiebet alles auf den Apotheker,
der Viktors moralischer und mechanischer Bettzopf
oder Bettaufhelfer war: denn da der ihm den edlen
Maz in einer ähnlichen Lage (aber ohne Bettzopf)
vorgemalet hatte: so wurde der Abscheu, den Viktor
einige Tage vorher gegen des Evangelisten Betragen
empfunden hatte, in ihm zum paralytischen Unver¬
mögen, einige Tage darauf im geringsten es zu kopi¬
ren. -- O wenn wir doch jede Sünde, zu der wir
oder andre uns versuchen, ein Paar Tage vorher von
einem wahren Schuft hätten begehen sehen, den wir
anspeien! --

Endlich darf man nur zu Viktor in den Erker,
wo er jetzt sitzt in einem sonderbaren Barometer¬
stand, hinsehen, wenn man den vorigen beurtheilen
will. Sein jetziger ist nämlich eine Mischung von
Leerheit, Unzufriedenheit (mit sich und jedem,) von
größerer Liebe gegen Agnola, von Rechtfertigungen
dieser Agnola und doch von einem Unvermögen,

denn das muß ſelber entſchuldigt werden — es iſt
aber auch nur gar zu gewiß, daß gewiſſe Menſchen,
die zu Philoſophen oder zu Dichtern organiſirt ſind,
gerade dann und zwar allemal ſtatt ihres Zuſtandes
allgemeine Ideen beſchauen, wo es andere gar nicht
koͤnnen und nichts ſind als Ichs, naͤmlich in den
groͤßten Gefahren, in den groͤßten Leiden, in den
groͤßten Freuden. —

Ein Billiger ſchiebet alles auf den Apotheker,
der Viktors moraliſcher und mechaniſcher Bettzopf
oder Bettaufhelfer war: denn da der ihm den edlen
Maz in einer aͤhnlichen Lage (aber ohne Bettzopf)
vorgemalet hatte: ſo wurde der Abſcheu, den Viktor
einige Tage vorher gegen des Evangeliſten Betragen
empfunden hatte, in ihm zum paralytiſchen Unver¬
moͤgen, einige Tage darauf im geringſten es zu kopi¬
ren. — O wenn wir doch jede Suͤnde, zu der wir
oder andre uns verſuchen, ein Paar Tage vorher von
einem wahren Schuft haͤtten begehen ſehen, den wir
anſpeien! —

Endlich darf man nur zu Viktor in den Erker,
wo er jetzt ſitzt in einem ſonderbaren Barometer¬
ſtand, hinſehen, wenn man den vorigen beurtheilen
will. Sein jetziger iſt naͤmlich eine Miſchung von
Leerheit, Unzufriedenheit (mit ſich und jedem,) von
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[324/0334] denn das muß ſelber entſchuldigt werden — es iſt aber auch nur gar zu gewiß, daß gewiſſe Menſchen, die zu Philoſophen oder zu Dichtern organiſirt ſind, gerade dann und zwar allemal ſtatt ihres Zuſtandes allgemeine Ideen beſchauen, wo es andere gar nicht koͤnnen und nichts ſind als Ichs, naͤmlich in den groͤßten Gefahren, in den groͤßten Leiden, in den groͤßten Freuden. — Ein Billiger ſchiebet alles auf den Apotheker, der Viktors moraliſcher und mechaniſcher Bettzopf oder Bettaufhelfer war: denn da der ihm den edlen Maz in einer aͤhnlichen Lage (aber ohne Bettzopf) vorgemalet hatte: ſo wurde der Abſcheu, den Viktor einige Tage vorher gegen des Evangeliſten Betragen empfunden hatte, in ihm zum paralytiſchen Unver¬ moͤgen, einige Tage darauf im geringſten es zu kopi¬ ren. — O wenn wir doch jede Suͤnde, zu der wir oder andre uns verſuchen, ein Paar Tage vorher von einem wahren Schuft haͤtten begehen ſehen, den wir anſpeien! — Endlich darf man nur zu Viktor in den Erker, wo er jetzt ſitzt in einem ſonderbaren Barometer¬ ſtand, hinſehen, wenn man den vorigen beurtheilen will. Sein jetziger iſt naͤmlich eine Miſchung von Leerheit, Unzufriedenheit (mit ſich und jedem,) von groͤßerer Liebe gegen Agnola, von Rechtfertigungen dieſer Agnola und doch von einem Unvermoͤgen,

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/334>, abgerufen am 08.05.2024.