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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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bringt zwar keine Empfindung mehr zu, aber nicht
wegen unterbrochener Kommunikation mit der Seele
und ihrer Wohn-Gehirnkammer, sondern weil
ihr der nährende Lebensgeist abgeschnitten ist: denn
die Nerven brauchen wie alle feinere Organisationen
so sehr fortdauernden Kost-Zuguß, daß der stok¬
kende Herz- und Arterienschlag in Einer Minute alle
ihre Kräfte aufhebt.

Ich gehe weiter und sage -- um zwei Irrthü¬
mern zu widersprechen -- vorher heraus: diese Or¬
gane empfinden nicht, sondern werden empfunden;
zweitens die Organe sind nicht die Bedingung
aller Empfindung überhaupt, sondern nur einer ge¬
wissen.

Das letzte zuerst: da das Organ (d. h. seine
Veränderung,) das so gut ein Körper ist als irgend
ein grobes Objekt, dessen seine jenes an die Seele
legt, dennoch von dem geistigen Wesen unmittelbar
und ohne ein zweites Organ empfunden wird: so
müssen alle körperliche Wesen dem geistigen so gut
Empfindungen geben als die Nerven, und eine un¬
verkörperte Seele ist nur darum nicht möglich, weil
sie im Falle des abgelöseten Körpers alsdann das
ganze materielle Universum als einen plumpern
trüge.

Meine erste Behauptung war: man sollte nicht
sagen, empfindende Organisation sondern em¬

bringt zwar keine Empfindung mehr zu, aber nicht
wegen unterbrochener Kommunikation mit der Seele
und ihrer Wohn–Gehirnkammer, ſondern weil
ihr der naͤhrende Lebensgeiſt abgeſchnitten iſt: denn
die Nerven brauchen wie alle feinere Organiſationen
ſo ſehr fortdauernden Koſt–Zuguß, daß der ſtok¬
kende Herz– und Arterienſchlag in Einer Minute alle
ihre Kraͤfte aufhebt.

Ich gehe weiter und ſage — um zwei Irrthuͤ¬
mern zu widerſprechen — vorher heraus: dieſe Or¬
gane empfinden nicht, ſondern werden empfunden;
zweitens die Organe ſind nicht die Bedingung
aller Empfindung uͤberhaupt, ſondern nur einer ge¬
wiſſen.

Das letzte zuerſt: da das Organ (d. h. ſeine
Veraͤnderung,) das ſo gut ein Koͤrper iſt als irgend
ein grobes Objekt, deſſen ſeine jenes an die Seele
legt, dennoch von dem geiſtigen Weſen unmittelbar
und ohne ein zweites Organ empfunden wird: ſo
muͤſſen alle koͤrperliche Weſen dem geiſtigen ſo gut
Empfindungen geben als die Nerven, und eine un¬
verkoͤrperte Seele iſt nur darum nicht moͤglich, weil
ſie im Falle des abgeloͤſeten Koͤrpers alsdann das
ganze materielle Univerſum als einen plumpern
truͤge.

Meine erſte Behauptung war: man ſollte nicht
ſagen, empfindende Organiſation ſondern em¬

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[228/0238] bringt zwar keine Empfindung mehr zu, aber nicht wegen unterbrochener Kommunikation mit der Seele und ihrer Wohn–Gehirnkammer, ſondern weil ihr der naͤhrende Lebensgeiſt abgeſchnitten iſt: denn die Nerven brauchen wie alle feinere Organiſationen ſo ſehr fortdauernden Koſt–Zuguß, daß der ſtok¬ kende Herz– und Arterienſchlag in Einer Minute alle ihre Kraͤfte aufhebt. Ich gehe weiter und ſage — um zwei Irrthuͤ¬ mern zu widerſprechen — vorher heraus: dieſe Or¬ gane empfinden nicht, ſondern werden empfunden; zweitens die Organe ſind nicht die Bedingung aller Empfindung uͤberhaupt, ſondern nur einer ge¬ wiſſen. Das letzte zuerſt: da das Organ (d. h. ſeine Veraͤnderung,) das ſo gut ein Koͤrper iſt als irgend ein grobes Objekt, deſſen ſeine jenes an die Seele legt, dennoch von dem geiſtigen Weſen unmittelbar und ohne ein zweites Organ empfunden wird: ſo muͤſſen alle koͤrperliche Weſen dem geiſtigen ſo gut Empfindungen geben als die Nerven, und eine un¬ verkoͤrperte Seele iſt nur darum nicht moͤglich, weil ſie im Falle des abgeloͤſeten Koͤrpers alsdann das ganze materielle Univerſum als einen plumpern truͤge. Meine erſte Behauptung war: man ſollte nicht ſagen, empfindende Organiſation ſondern em¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/238>, abgerufen am 29.04.2024.