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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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melsveränderung, Sonnenuntergang, jede Minute
überschüttete ihn mit Neuigkeiten.

Es war ihm wie vornehmen Kindern, die aufs
Land hinaus kommen: alles begucken, betasten,
bespringen sie in der neuen Erde und dem neuen
Himmel. Denn es ist ein unbeschreibliches Glück
für stiftsfähige Kinder, daß ihre Eltern, die sonst
aus der Natur sich wenig machen, sie dennoch zwi¬
schen hohen Zimmern und hohen Häusern, die nicht
38 Quadratschuhe vom Himmel sichtbar lassen, wie
in Treibgärten mit hohen Mauern erziehen, damit
die Natur ihnen so wenig als ihre Eltern unter
die Augen komme: dadurch erhält sich ihr Gefühl
für beide eben so unverhärtet über der Erde als
würden sie wirklich unter ihr erzogen; ja sie sehen
den Sonnenaufgang zum erstenmale fast noch spä¬
ter als Gustav, -- auf der Postkalesche oder in
Karlsbad. --

Seine Eltern liessen ihn als einen Neugebohrnen
ungern von der Seite, kaum in den Schloßgarten
und nicht zum Berg hinunter, wo ihm die Post¬
straße gefährlich war. Auch hatt' er aus seiner
unterirrdischen Schulpforte eine gewisse Verlegen¬
heit mit heraufgebracht, die mittelmäßige Men¬

schen

melsveraͤnderung, Sonnenuntergang, jede Minute
uͤberſchuͤttete ihn mit Neuigkeiten.

Es war ihm wie vornehmen Kindern, die aufs
Land hinaus kommen: alles begucken, betaſten,
beſpringen ſie in der neuen Erde und dem neuen
Himmel. Denn es iſt ein unbeſchreibliches Gluͤck
fuͤr ſtiftsfaͤhige Kinder, daß ihre Eltern, die ſonſt
aus der Natur ſich wenig machen, ſie dennoch zwi¬
ſchen hohen Zimmern und hohen Haͤuſern, die nicht
38 Quadratſchuhe vom Himmel ſichtbar laſſen, wie
in Treibgaͤrten mit hohen Mauern erziehen, damit
die Natur ihnen ſo wenig als ihre Eltern unter
die Augen komme: dadurch erhaͤlt ſich ihr Gefuͤhl
fuͤr beide eben ſo unverhaͤrtet uͤber der Erde als
wuͤrden ſie wirklich unter ihr erzogen; ja ſie ſehen
den Sonnenaufgang zum erſtenmale faſt noch ſpaͤ¬
ter als Guſtav, — auf der Poſtkaleſche oder in
Karlsbad. —

Seine Eltern lieſſen ihn als einen Neugebohrnen
ungern von der Seite, kaum in den Schloßgarten
und nicht zum Berg hinunter, wo ihm die Poſt¬
ſtraße gefaͤhrlich war. Auch hatt' er aus ſeiner
unterirrdiſchen Schulpforte eine gewiſſe Verlegen¬
heit mit heraufgebracht, die mittelmaͤßige Men¬

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[64/0100] melsveraͤnderung, Sonnenuntergang, jede Minute uͤberſchuͤttete ihn mit Neuigkeiten. Es war ihm wie vornehmen Kindern, die aufs Land hinaus kommen: alles begucken, betaſten, beſpringen ſie in der neuen Erde und dem neuen Himmel. Denn es iſt ein unbeſchreibliches Gluͤck fuͤr ſtiftsfaͤhige Kinder, daß ihre Eltern, die ſonſt aus der Natur ſich wenig machen, ſie dennoch zwi¬ ſchen hohen Zimmern und hohen Haͤuſern, die nicht 38 Quadratſchuhe vom Himmel ſichtbar laſſen, wie in Treibgaͤrten mit hohen Mauern erziehen, damit die Natur ihnen ſo wenig als ihre Eltern unter die Augen komme: dadurch erhaͤlt ſich ihr Gefuͤhl fuͤr beide eben ſo unverhaͤrtet uͤber der Erde als wuͤrden ſie wirklich unter ihr erzogen; ja ſie ſehen den Sonnenaufgang zum erſtenmale faſt noch ſpaͤ¬ ter als Guſtav, — auf der Poſtkaleſche oder in Karlsbad. — Seine Eltern lieſſen ihn als einen Neugebohrnen ungern von der Seite, kaum in den Schloßgarten und nicht zum Berg hinunter, wo ihm die Poſt¬ ſtraße gefaͤhrlich war. Auch hatt' er aus ſeiner unterirrdiſchen Schulpforte eine gewiſſe Verlegen¬ heit mit heraufgebracht, die mittelmaͤßige Men¬ ſchen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/100>, abgerufen am 30.04.2024.