sagte: "[De]r heutige Abend solt uns nahe um die dodecandr[i]a finden; aber Schweiß und Fleiß ko¬ stets" -- er wurde beim allgemeinen Jammer über eine solchen Fegfeuer-Nachmittag, dergleichen noch kein Scheerauer erlebt hatte, immer vergnügter und sagte, ihre Aufmerksamkeit feuer am meisten ihn an -- gleichwohl ließen sich die botanischen Magistranden aus einem Blatte ins andere mar¬ tern und wolten verbindlich bleiben: -- bis der Rittmeister, ob er gleich den Scherz errieth, teu¬ felstoll wurde und fortwollte. Der Dokor sagte "den zweiten Folianten müst' er ohnehin für eine andre Stunde versparen; aber er wünschte, sie kämen bald wieder, das soll' ihm erst ein Beweiß seyn, daß es ihnen heute gefallen." Der bloße Gedanke an den zweiten Torturfolianten -- woge¬ gen der Theresianische Kodex mit seinen Folter- Projektionen nur ein Taschenkalender mit Monats¬ kupfern ist -- führte etwas von einem Fieberschau¬ er bei sich. So hatten sie also einen ganzen hal¬ ben Tag schändlich ohne eine Verläumdung, ohne eine Erzählung verloren, die hätte nach Haus können mitgebracht oder von Haus mitgenommen werden. Die ältern Damen besuchten Konzerte
ſagte: „[De]r heutige Abend ſolt uns nahe um die dodecandr[i]a finden; aber Schweiß und Fleiß ko¬ ſtets“ — er wurde beim allgemeinen Jammer uͤber eine ſolchen Fegfeuer-Nachmittag, dergleichen noch kein Scheerauer erlebt hatte, immer vergnuͤgter und ſagte, ihre Aufmerkſamkeit feuer am meiſten ihn an — gleichwohl ließen ſich die botaniſchen Magiſtranden aus einem Blatte ins andere mar¬ tern und wolten verbindlich bleiben: — bis der Rittmeiſter, ob er gleich den Scherz errieth, teu¬ felstoll wurde und fortwollte. Der Dokor ſagte „den zweiten Folianten muͤſt' er ohnehin fuͤr eine andre Stunde verſparen; aber er wuͤnſchte, ſie kaͤmen bald wieder, das ſoll' ihm erſt ein Beweiß ſeyn, daß es ihnen heute gefallen.“ Der bloße Gedanke an den zweiten Torturfolianten — woge¬ gen der Thereſianiſche Kodex mit ſeinen Folter- Projektionen nur ein Taſchenkalender mit Monats¬ kupfern iſt — fuͤhrte etwas von einem Fieberſchau¬ er bei ſich. So hatten ſie alſo einen ganzen hal¬ ben Tag ſchaͤndlich ohne eine Verlaͤumdung, ohne eine Erzaͤhlung verloren, die haͤtte nach Haus koͤnnen mitgebracht oder von Haus mitgenommen werden. Die aͤltern Damen beſuchten Konzerte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0162"n="126"/>ſagte: „<supplied>De</supplied>r heutige Abend ſolt uns nahe um die<lb/><hirendition="#aq">dodecandr</hi><supplied>i</supplied><hirendition="#aq">a</hi> finden; aber Schweiß und Fleiß ko¬<lb/>ſtets“— er wurde beim allgemeinen Jammer uͤber<lb/>
eine ſolchen Fegfeuer-Nachmittag, dergleichen noch<lb/>
kein Scheerauer erlebt hatte, immer vergnuͤgter<lb/>
und ſagte, ihre Aufmerkſamkeit feuer am meiſten<lb/>
ihn an — gleichwohl ließen ſich die botaniſchen<lb/>
Magiſtranden aus einem Blatte ins andere mar¬<lb/>
tern und wolten verbindlich bleiben: — bis der<lb/>
Rittmeiſter, ob er gleich den Scherz errieth, teu¬<lb/>
felstoll wurde und fortwollte. Der Dokor ſagte<lb/>„den zweiten Folianten muͤſt' er ohnehin fuͤr eine<lb/>
andre Stunde verſparen; aber er wuͤnſchte, ſie<lb/>
kaͤmen bald wieder, das ſoll' ihm erſt ein Beweiß<lb/>ſeyn, daß es ihnen heute gefallen.“ Der bloße<lb/>
Gedanke an den zweiten Torturfolianten — woge¬<lb/>
gen der Thereſianiſche Kodex mit ſeinen Folter-<lb/>
Projektionen nur ein Taſchenkalender mit Monats¬<lb/>
kupfern iſt — fuͤhrte etwas von einem Fieberſchau¬<lb/>
er bei ſich. So hatten ſie alſo einen ganzen hal¬<lb/>
ben Tag ſchaͤndlich ohne eine Verlaͤumdung, ohne<lb/>
eine Erzaͤhlung verloren, die haͤtte nach Haus<lb/>
koͤnnen mitgebracht oder von Haus mitgenommen<lb/>
werden. Die aͤltern Damen beſuchten Konzerte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[126/0162]
ſagte: „Der heutige Abend ſolt uns nahe um die
dodecandria finden; aber Schweiß und Fleiß ko¬
ſtets“ — er wurde beim allgemeinen Jammer uͤber
eine ſolchen Fegfeuer-Nachmittag, dergleichen noch
kein Scheerauer erlebt hatte, immer vergnuͤgter
und ſagte, ihre Aufmerkſamkeit feuer am meiſten
ihn an — gleichwohl ließen ſich die botaniſchen
Magiſtranden aus einem Blatte ins andere mar¬
tern und wolten verbindlich bleiben: — bis der
Rittmeiſter, ob er gleich den Scherz errieth, teu¬
felstoll wurde und fortwollte. Der Dokor ſagte
„den zweiten Folianten muͤſt' er ohnehin fuͤr eine
andre Stunde verſparen; aber er wuͤnſchte, ſie
kaͤmen bald wieder, das ſoll' ihm erſt ein Beweiß
ſeyn, daß es ihnen heute gefallen.“ Der bloße
Gedanke an den zweiten Torturfolianten — woge¬
gen der Thereſianiſche Kodex mit ſeinen Folter-
Projektionen nur ein Taſchenkalender mit Monats¬
kupfern iſt — fuͤhrte etwas von einem Fieberſchau¬
er bei ſich. So hatten ſie alſo einen ganzen hal¬
ben Tag ſchaͤndlich ohne eine Verlaͤumdung, ohne
eine Erzaͤhlung verloren, die haͤtte nach Haus
koͤnnen mitgebracht oder von Haus mitgenommen
werden. Die aͤltern Damen beſuchten Konzerte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/162>, abgerufen am 05.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.