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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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te ein holdes Saitenspiel verbirgt. Wenn man frei¬
lich wieder in seinem Museum auf und abgeht, un¬
ter großen Büchern und großen Männern, beglei¬
tet von der ganzen republikanischen Vergangenheit,
emporgerichtet zur tiefen Perspektive der unendli¬
chen Welt hinter dem Grabe: so verachtet selber
der Inhaber seine Konchylien-Vorzüge; er fragt
sich, giebt es nichts bessers als über seinen Körper
(statt über Leidenschaften) Herr zu seyn und ihn
so leicht zu tragen wie nach den drei ersten Gläsern
Champagner -- seinen Ton in den allgemeinen Ton
hineinzustimmen, weil an Höfen und Klavieren
keine Taste über die andre hinausklingen darf --
auf dem dünnen schaukelnden Brette der weiblichen
Launen so fliegend wegzueilen, daß unsere Tritte
die Schwankungen blos begleiten -- schön zu tan¬
zen und zu gehen so weit es mit Einem langen
Bein thulich ist (denn freilich wenn ein Klaviermei¬
ster mit einem Miniatürbein zu kämpfen hat: so
mag der Henker auf beiden so zierlich aufstehen
wie der Prinz von Artois) -- kurz allen Verstand
zu Narrheit zu sublimiren, alle Wahrheiten zu Ein¬
fällen, alle Kraftgefühle zu pantomimischen Nach¬

te ein holdes Saitenſpiel verbirgt. Wenn man frei¬
lich wieder in ſeinem Muſeum auf und abgeht, un¬
ter großen Buͤchern und großen Maͤnnern, beglei¬
tet von der ganzen republikaniſchen Vergangenheit,
emporgerichtet zur tiefen Perſpektive der unendli¬
chen Welt hinter dem Grabe: ſo verachtet ſelber
der Inhaber ſeine Konchylien-Vorzuͤge; er fragt
ſich, giebt es nichts beſſers als uͤber ſeinen Koͤrper
(ſtatt uͤber Leidenſchaften) Herr zu ſeyn und ihn
ſo leicht zu tragen wie nach den drei erſten Glaͤſern
Champagner — ſeinen Ton in den allgemeinen Ton
hineinzuſtimmen, weil an Hoͤfen und Klavieren
keine Taſte uͤber die andre hinausklingen darf —
auf dem duͤnnen ſchaukelnden Brette der weiblichen
Launen ſo fliegend wegzueilen, daß unſere Tritte
die Schwankungen blos begleiten — ſchoͤn zu tan¬
zen und zu gehen ſo weit es mit Einem langen
Bein thulich iſt (denn freilich wenn ein Klaviermei¬
ſter mit einem Miniatuͤrbein zu kaͤmpfen hat: ſo
mag der Henker auf beiden ſo zierlich aufſtehen
wie der Prinz von Artois) — kurz allen Verſtand
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[149/0185] te ein holdes Saitenſpiel verbirgt. Wenn man frei¬ lich wieder in ſeinem Muſeum auf und abgeht, un¬ ter großen Buͤchern und großen Maͤnnern, beglei¬ tet von der ganzen republikaniſchen Vergangenheit, emporgerichtet zur tiefen Perſpektive der unendli¬ chen Welt hinter dem Grabe: ſo verachtet ſelber der Inhaber ſeine Konchylien-Vorzuͤge; er fragt ſich, giebt es nichts beſſers als uͤber ſeinen Koͤrper (ſtatt uͤber Leidenſchaften) Herr zu ſeyn und ihn ſo leicht zu tragen wie nach den drei erſten Glaͤſern Champagner — ſeinen Ton in den allgemeinen Ton hineinzuſtimmen, weil an Hoͤfen und Klavieren keine Taſte uͤber die andre hinausklingen darf — auf dem duͤnnen ſchaukelnden Brette der weiblichen Launen ſo fliegend wegzueilen, daß unſere Tritte die Schwankungen blos begleiten — ſchoͤn zu tan¬ zen und zu gehen ſo weit es mit Einem langen Bein thulich iſt (denn freilich wenn ein Klaviermei¬ ſter mit einem Miniatuͤrbein zu kaͤmpfen hat: ſo mag der Henker auf beiden ſo zierlich aufſtehen wie der Prinz von Artois) — kurz allen Verſtand zu Narrheit zu ſublimiren, alle Wahrheiten zu Ein¬ faͤllen, alle Kraftgefuͤhle zu pantomimiſchen Nach¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/185>, abgerufen am 27.04.2024.