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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793.

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Daran dacht' ich oft und warf mir manches
vor. Würde nicht, (hielt ich mir vor) ein gründ¬
licherer Schulkollege deinen Gustav, wenn er mit
dem Rücken auf dem Grase liegt und in den blauen
Himmelskrater hinaufzusinken oder auf Flügeln an
den Schulterblättern durch das Universum zu schwim¬
men träumt, mit dem Spazierstock an ein Buch
von Nutzen treiben? Und, sagt' ich, wenn ich
zum gründlichern Kollegen sagte, es sei einerlei,
woran eine kindliche Phantasie sich aufwinde, ob
an einem lackierten Stäbchen, oder an einer le¬
bendigen Ulme, oder an einem schwarzen Räucher¬
stecken: würde der Kollege nicht witzig versetzen,
eben also, es sei also einerlei? --

Inzwischen besäß' ich meines Orts auch Witz:
ich würde auf die Replik verfallen: "glauben Sie
denn, Hr. Konfrater, daß unter dem größten
Spitzbuben und dem größten komischen Dichter, den
sie vertiren, ein Unterschied ist? -- Allerdings:
ein guter Plan des Kartouche ist von einem guten
Plan des Dichters Goldoni darin verschieden, daß
der erstere die Komödie selber ausführet, die der
letztere von Schauspielern ausführen lässet."

Daran dacht' ich oft und warf mir manches
vor. Wuͤrde nicht, (hielt ich mir vor) ein gruͤnd¬
licherer Schulkollege deinen Guſtav, wenn er mit
dem Ruͤcken auf dem Graſe liegt und in den blauen
Himmelskrater hinaufzuſinken oder auf Fluͤgeln an
den Schulterblaͤttern durch das Univerſum zu ſchwim¬
men traͤumt, mit dem Spazierſtock an ein Buch
von Nutzen treiben? Und, ſagt' ich, wenn ich
zum gruͤndlichern Kollegen ſagte, es ſei einerlei,
woran eine kindliche Phantaſie ſich aufwinde, ob
an einem lackierten Staͤbchen, oder an einer le¬
bendigen Ulme, oder an einem ſchwarzen Raͤucher¬
ſtecken: wuͤrde der Kollege nicht witzig verſetzen,
eben alſo, es ſei alſo einerlei? —

Inzwiſchen beſaͤß' ich meines Orts auch Witz:
ich wuͤrde auf die Replik verfallen: „glauben Sie
denn, Hr. Konfrater, daß unter dem groͤßten
Spitzbuben und dem groͤßten komiſchen Dichter, den
ſie vertiren, ein Unterſchied iſt? — Allerdings:
ein guter Plan des Kartouche iſt von einem guten
Plan des Dichters Goldoni darin verſchieden, daß
der erſtere die Komoͤdie ſelber ausfuͤhret, die der
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[274/0310] Daran dacht' ich oft und warf mir manches vor. Wuͤrde nicht, (hielt ich mir vor) ein gruͤnd¬ licherer Schulkollege deinen Guſtav, wenn er mit dem Ruͤcken auf dem Graſe liegt und in den blauen Himmelskrater hinaufzuſinken oder auf Fluͤgeln an den Schulterblaͤttern durch das Univerſum zu ſchwim¬ men traͤumt, mit dem Spazierſtock an ein Buch von Nutzen treiben? Und, ſagt' ich, wenn ich zum gruͤndlichern Kollegen ſagte, es ſei einerlei, woran eine kindliche Phantaſie ſich aufwinde, ob an einem lackierten Staͤbchen, oder an einer le¬ bendigen Ulme, oder an einem ſchwarzen Raͤucher¬ ſtecken: wuͤrde der Kollege nicht witzig verſetzen, eben alſo, es ſei alſo einerlei? — Inzwiſchen beſaͤß' ich meines Orts auch Witz: ich wuͤrde auf die Replik verfallen: „glauben Sie denn, Hr. Konfrater, daß unter dem groͤßten Spitzbuben und dem groͤßten komiſchen Dichter, den ſie vertiren, ein Unterſchied iſt? — Allerdings: ein guter Plan des Kartouche iſt von einem guten Plan des Dichters Goldoni darin verſchieden, daß der erſtere die Komoͤdie ſelber ausfuͤhret, die der letztere von Schauſpielern ausfuͤhren laͤſſet.“

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/310>, abgerufen am 30.04.2024.