Jetzt ist Gustav im alten Schlosse -- sein Schau¬ platz hob sich bisher täglich, von der Erden¬ höle in eine Ritterburg, dann in ein Kadetten- Philantropin, endlich in ein Fürstenschloß. Der reiche Oefel miethete es, weil es ans neue stieß, wo der Blocksberg der großen Welt von Scheerau war. Die Residentin von Bouse hatte beide von ihrem Bruder geerbt, der hier unter ihren Küssen und Thränen verschied. Die Natur hatte ihr alles gegeben, was das eigne Herz hebet und das frem¬ de gewinnt; aber die Kunst hatte ihr zuviel gege¬ ben, ihr Stand ihr zuviel genommen -- sie hatte zu viele Talente, um an einem Hofe andre Tu¬ genden zu behalten als männliche; sie vereinigte Freundschaft und Koketterie -- Empfindung und Spott -- Achtung der Tugend und Philosophie der Welt -- Sich und unsern Fürsten. Denn dieser war ihr erklärter Liebhaber, dem sie ihr Herz mehr aus Ehre als aus Neigung ließ. Sie war zu et¬
2. Theil. A
Sieben u. zwanzigſter od. XXI. Trinitatis-Sekt.
Guſtavs Brief — Fürſt mit ſeinem Friſierkamm.
Jetzt iſt Guſtav im alten Schloſſe — ſein Schau¬ platz hob ſich bisher taͤglich, von der Erden¬ hoͤle in eine Ritterburg, dann in ein Kadetten- Philantropin, endlich in ein Fuͤrſtenſchloß. Der reiche Oefel miethete es, weil es ans neue ſtieß, wo der Blocksberg der großen Welt von Scheerau war. Die Reſidentin von Bouſe hatte beide von ihrem Bruder geerbt, der hier unter ihren Kuͤſſen und Thraͤnen verſchied. Die Natur hatte ihr alles gegeben, was das eigne Herz hebet und das frem¬ de gewinnt; aber die Kunſt hatte ihr zuviel gege¬ ben, ihr Stand ihr zuviel genommen — ſie hatte zu viele Talente, um an einem Hofe andre Tu¬ genden zu behalten als maͤnnliche; ſie vereinigte Freundſchaft und Koketterie — Empfindung und Spott — Achtung der Tugend und Philoſophie der Welt — Sich und unſern Fuͤrſten. Denn dieſer war ihr erklaͤrter Liebhaber, dem ſie ihr Herz mehr aus Ehre als aus Neigung ließ. Sie war zu et¬
2. Theil. A
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Sieben u. zwanzigſter od. XXI. Trinitatis-Sekt.
Guſtavs Brief — Fürſt mit ſeinem Friſierkamm.
Jetzt iſt Guſtav im alten Schloſſe — ſein Schau¬
platz hob ſich bisher taͤglich, von der Erden¬
hoͤle in eine Ritterburg, dann in ein Kadetten-
Philantropin, endlich in ein Fuͤrſtenſchloß. Der
reiche Oefel miethete es, weil es ans neue ſtieß,
wo der Blocksberg der großen Welt von Scheerau
war. Die Reſidentin von Bouſe hatte beide von
ihrem Bruder geerbt, der hier unter ihren Kuͤſſen
und Thraͤnen verſchied. Die Natur hatte ihr alles
gegeben, was das eigne Herz hebet und das frem¬
de gewinnt; aber die Kunſt hatte ihr zuviel gege¬
ben, ihr Stand ihr zuviel genommen — ſie hatte
zu viele Talente, um an einem Hofe andre Tu¬
genden zu behalten als maͤnnliche; ſie vereinigte
Freundſchaft und Koketterie — Empfindung und
Spott — Achtung der Tugend und Philoſophie der
Welt — Sich und unſern Fuͤrſten. Denn dieſer
war ihr erklaͤrter Liebhaber, dem ſie ihr Herz mehr
aus Ehre als aus Neigung ließ. Sie war zu et¬
2. Theil. A
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/11>, abgerufen am 29.11.2023.
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