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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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in einer über den ganzen Abgrund hinüberreichende
Himmels-Au. Ich werde den Traum und sein En¬
de so gleich erzählen, wenn ich dem Leser die Per¬
son gezeigt habe, die den Traum zugleich verlänger¬
te und endigte.

Nämlich Beata -- kam. Sie konnte weder sei¬
nen Wiederkunft noch seine letzte Station wissen.
Die Nähe des Ottomarschen Leichenbegängnisses,
die Entfernung Gustavs, dessen Bild seit dem letzten
Auftritt tief in und gleichsam durch ihr Herz ge¬
presset war, und die Entfernung des Sommers, der
sein buntes blühendes Gemählde täglich um einige
Zoll wieder zusammenrollte, alles das hatte sich in
Beatens Brust zu einem drückenden Seufzer gesam¬
melt, den das laute Jagdschloß mit seiner Athmos¬
phäre einklemmte und mit dem sie in eine reinere
größere gieng, um ihn an einem Grabe auszuhau¬
chen und aus ihr den Stof zu neuen einzuathmen. --
Schwärmerisches Herz! du treibest mit deinen fieber¬
haften Schlägen freilich dein Blut zu reißend um
und spühlest mit deinen Güssen Ufer, Blumen und
Leben fort; aber dein Fehler ist doch schöner, als
wenn du mit phlegmatischem Getriebe aus dem ste¬
hendem Wasser des Blutes bloßen Fett-Schlamm an¬
legtest!

in einer uͤber den ganzen Abgrund hinuͤberreichende
Himmels-Au. Ich werde den Traum und ſein En¬
de ſo gleich erzaͤhlen, wenn ich dem Leſer die Per¬
ſon gezeigt habe, die den Traum zugleich verlaͤnger¬
te und endigte.

Naͤmlich Beata — kam. Sie konnte weder ſei¬
nen Wiederkunft noch ſeine letzte Station wiſſen.
Die Naͤhe des Ottomarſchen Leichenbegaͤngniſſes,
die Entfernung Guſtavs, deſſen Bild ſeit dem letzten
Auftritt tief in und gleichſam durch ihr Herz ge¬
preſſet war, und die Entfernung des Sommers, der
ſein buntes bluͤhendes Gemaͤhlde taͤglich um einige
Zoll wieder zuſammenrollte, alles das hatte ſich in
Beatens Bruſt zu einem druͤckenden Seufzer geſam¬
melt, den das laute Jagdſchloß mit ſeiner Athmoſ¬
phaͤre einklemmte und mit dem ſie in eine reinere
groͤßere gieng, um ihn an einem Grabe auszuhau¬
chen und aus ihr den Stof zu neuen einzuathmen. —
Schwaͤrmeriſches Herz! du treibeſt mit deinen fieber¬
haften Schlaͤgen freilich dein Blut zu reißend um
und ſpuͤhleſt mit deinen Guͤſſen Ufer, Blumen und
Leben fort; aber dein Fehler iſt doch ſchoͤner, als
wenn du mit phlegmatiſchem Getriebe aus dem ſte¬
hendem Waſſer des Blutes bloßen Fett-Schlamm an¬
legteſt!

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[120/0130] in einer uͤber den ganzen Abgrund hinuͤberreichende Himmels-Au. Ich werde den Traum und ſein En¬ de ſo gleich erzaͤhlen, wenn ich dem Leſer die Per¬ ſon gezeigt habe, die den Traum zugleich verlaͤnger¬ te und endigte. Naͤmlich Beata — kam. Sie konnte weder ſei¬ nen Wiederkunft noch ſeine letzte Station wiſſen. Die Naͤhe des Ottomarſchen Leichenbegaͤngniſſes, die Entfernung Guſtavs, deſſen Bild ſeit dem letzten Auftritt tief in und gleichſam durch ihr Herz ge¬ preſſet war, und die Entfernung des Sommers, der ſein buntes bluͤhendes Gemaͤhlde taͤglich um einige Zoll wieder zuſammenrollte, alles das hatte ſich in Beatens Bruſt zu einem druͤckenden Seufzer geſam¬ melt, den das laute Jagdſchloß mit ſeiner Athmoſ¬ phaͤre einklemmte und mit dem ſie in eine reinere groͤßere gieng, um ihn an einem Grabe auszuhau¬ chen und aus ihr den Stof zu neuen einzuathmen. — Schwaͤrmeriſches Herz! du treibeſt mit deinen fieber¬ haften Schlaͤgen freilich dein Blut zu reißend um und ſpuͤhleſt mit deinen Guͤſſen Ufer, Blumen und Leben fort; aber dein Fehler iſt doch ſchoͤner, als wenn du mit phlegmatiſchem Getriebe aus dem ſte¬ hendem Waſſer des Blutes bloßen Fett-Schlamm an¬ legteſt!

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/130>, abgerufen am 27.04.2024.