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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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andern tropfen. . . . Wenn ich nun wäre todt ge¬
blieben: so wär' also das, was ich jezt bin, der
Zweck gewesen, weswegen ich für diese lichtervolle
Erde und sie für mich gebauet war? -- Das wä¬
re das Ende der Scenen? -- und über dem Ende
hinaus? -- Freude vielleicht dort -- hier ist,
keine, weil eine vergangne keine ist und un¬
sre Augenblicke verdünnen jede gegenwärti¬
ge
in tausend vergangne -- Tugend ist eher
hier: sie ist über die Zeit -- Unter mir schläft
alles; aber ich werd' es auch thun, und wenn
ich mir noch dreißig Jahre weiß mache, ich lebe,
dann legen sie mich wieder hieher -- die heutige
Nacht kömmt' wieder -- ich bleibe aber in meinem
Sarg: und dann? . . . wenn ich nun drei Au¬
genblicke hätte, einen zur Geburt, einen zum
Leben einen zum Sterben: zu was hätt' ich sie
denn, würd' ich sagen? -- alles aber, was zwi¬
schen der Zukunft und Vergangenheit steht, ist ein
Augenblick -- wir haben nur drei." . . Gros¬
ses Urwesen -- fieng ich an und wollte beten -- --
du hast die Ewigkeit, . - . aber unter dem Ge¬
danken an den, der nichts als Gegenwart ist, er¬
hält sich kein menschlicher Geist aufrecht, sondern

andern tropfen. . . . Wenn ich nun waͤre todt ge¬
blieben: ſo waͤr' alſo das, was ich jezt bin, der
Zweck geweſen, weswegen ich fuͤr dieſe lichtervolle
Erde und ſie fuͤr mich gebauet war? — Das waͤ¬
re das Ende der Scenen? — und uͤber dem Ende
hinaus? — Freude vielleicht dort — hier iſt,
keine, weil eine vergangne keine iſt und un¬
ſre Augenblicke verduͤnnen jede gegenwaͤrti¬
ge
in tauſend vergangne — Tugend iſt eher
hier: ſie iſt uͤber die Zeit — Unter mir ſchlaͤft
alles; aber ich werd’ es auch thun, und wenn
ich mir noch dreißig Jahre weiß mache, ich lebe,
dann legen ſie mich wieder hieher — die heutige
Nacht koͤmmt' wieder — ich bleibe aber in meinem
Sarg: und dann? . . . wenn ich nun drei Au¬
genblicke haͤtte, einen zur Geburt, einen zum
Leben einen zum Sterben: zu was haͤtt' ich ſie
denn, wuͤrd' ich ſagen? — alles aber, was zwi¬
ſchen der Zukunft und Vergangenheit ſteht, iſt ein
Augenblick — wir haben nur drei.“ . . Groſ¬
ſes Urweſen — fieng ich an und wollte beten — —
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[141/0151] andern tropfen. . . . Wenn ich nun waͤre todt ge¬ blieben: ſo waͤr' alſo das, was ich jezt bin, der Zweck geweſen, weswegen ich fuͤr dieſe lichtervolle Erde und ſie fuͤr mich gebauet war? — Das waͤ¬ re das Ende der Scenen? — und uͤber dem Ende hinaus? — Freude vielleicht dort — hier iſt, keine, weil eine vergangne keine iſt und un¬ ſre Augenblicke verduͤnnen jede gegenwaͤrti¬ ge in tauſend vergangne — Tugend iſt eher hier: ſie iſt uͤber die Zeit — Unter mir ſchlaͤft alles; aber ich werd’ es auch thun, und wenn ich mir noch dreißig Jahre weiß mache, ich lebe, dann legen ſie mich wieder hieher — die heutige Nacht koͤmmt' wieder — ich bleibe aber in meinem Sarg: und dann? . . . wenn ich nun drei Au¬ genblicke haͤtte, einen zur Geburt, einen zum Leben einen zum Sterben: zu was haͤtt' ich ſie denn, wuͤrd' ich ſagen? — alles aber, was zwi¬ ſchen der Zukunft und Vergangenheit ſteht, iſt ein Augenblick — wir haben nur drei.“ . . Groſ¬ ſes Urweſen — fieng ich an und wollte beten — — du haſt die Ewigkeit, . – . aber unter dem Ge¬ danken an den, der nichts als Gegenwart iſt, er¬ haͤlt ſich kein menſchlicher Geiſt aufrecht, ſondern

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/151>, abgerufen am 27.04.2024.