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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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große Nacht; die immer auf dich zuschreitet und
die jede Stunde eine Stunde zurücklegt und dich
Ephemere, du magst dich nun im Stral der Abend¬
sonne oder in dem der Abend-Dämmerung herum¬
schwingen, gewiß nieder schlägt. Aber die zwei
Ewigkeiten thürmen sich auf beiden Seiten unsrer
Erde in die Höhe und wir kriechen und graben in
unserem tiefen Holweg fort, dumm, blind, taub,
käuend, zappelnd, ohne einen größern Gang zu
sehen als den wir mit Käferköpfen in unsern Koth
ackern.

Aber seitdem ists auch mit meinen Planen ein
Ende: man kann hienieden nichts vollenden. Das
Leben ist mir so wenig, daß es fast das Kleinste ist,
was ich für ein Vaterland hingeben kann: ich
treffe und steige bloß mit einem größern oder klei¬
nern Gefolge von Jahren in den Gottesacker ein.
Mit der Freude ists aber auch vorbei; meine star¬
re Hand, die einmal den Todt wie einen Zitter¬
aal berührt hat, reibet den bunten Schmetterlings¬
staub zu leicht von ihren vier Flügeln und ich laße
sie bloß um mich flattern ohne sie zu greifen.
Bloß Unglück und Arbeit sind undurchsichtig
genug, daß sie die Zukunft verbauen; und ihr

2. Theil. K

große Nacht; die immer auf dich zuſchreitet und
die jede Stunde eine Stunde zuruͤcklegt und dich
Ephemere, du magſt dich nun im Stral der Abend¬
ſonne oder in dem der Abend-Daͤmmerung herum¬
ſchwingen, gewiß nieder ſchlaͤgt. Aber die zwei
Ewigkeiten thuͤrmen ſich auf beiden Seiten unſrer
Erde in die Hoͤhe und wir kriechen und graben in
unſerem tiefen Holweg fort, dumm, blind, taub,
kaͤuend, zappelnd, ohne einen groͤßern Gang zu
ſehen als den wir mit Kaͤferkoͤpfen in unſern Koth
ackern.

Aber ſeitdem iſts auch mit meinen Planen ein
Ende: man kann hienieden nichts vollenden. Das
Leben iſt mir ſo wenig, daß es faſt das Kleinſte iſt,
was ich fuͤr ein Vaterland hingeben kann: ich
treffe und ſteige bloß mit einem groͤßern oder klei¬
nern Gefolge von Jahren in den Gottesacker ein.
Mit der Freude iſts aber auch vorbei; meine ſtar¬
re Hand, die einmal den Todt wie einen Zitter¬
aal beruͤhrt hat, reibet den bunten Schmetterlings¬
ſtaub zu leicht von ihren vier Fluͤgeln und ich laße
ſie bloß um mich flattern ohne ſie zu greifen.
Bloß Ungluͤck und Arbeit ſind undurchſichtig
genug, daß ſie die Zukunft verbauen; und ihr

2. Theil. K
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[145/0155] große Nacht; die immer auf dich zuſchreitet und die jede Stunde eine Stunde zuruͤcklegt und dich Ephemere, du magſt dich nun im Stral der Abend¬ ſonne oder in dem der Abend-Daͤmmerung herum¬ ſchwingen, gewiß nieder ſchlaͤgt. Aber die zwei Ewigkeiten thuͤrmen ſich auf beiden Seiten unſrer Erde in die Hoͤhe und wir kriechen und graben in unſerem tiefen Holweg fort, dumm, blind, taub, kaͤuend, zappelnd, ohne einen groͤßern Gang zu ſehen als den wir mit Kaͤferkoͤpfen in unſern Koth ackern. Aber ſeitdem iſts auch mit meinen Planen ein Ende: man kann hienieden nichts vollenden. Das Leben iſt mir ſo wenig, daß es faſt das Kleinſte iſt, was ich fuͤr ein Vaterland hingeben kann: ich treffe und ſteige bloß mit einem groͤßern oder klei¬ nern Gefolge von Jahren in den Gottesacker ein. Mit der Freude iſts aber auch vorbei; meine ſtar¬ re Hand, die einmal den Todt wie einen Zitter¬ aal beruͤhrt hat, reibet den bunten Schmetterlings¬ ſtaub zu leicht von ihren vier Fluͤgeln und ich laße ſie bloß um mich flattern ohne ſie zu greifen. Bloß Ungluͤck und Arbeit ſind undurchſichtig genug, daß ſie die Zukunft verbauen; und ihr 2. Theil. K

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/155>, abgerufen am 27.04.2024.