Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

weil er daran denkt. Er hat noch seine erhaben¬
leise Sprache und sein Auge, das den Tod gesehen.
Immer noch ist er ein Zahuri, *) der durch alles
Blumengeniste und alle Graspartien der Erde durch¬
schauet und zu den unbeweglichen Todten hinunter¬
sieht, die unter ihr liegen. So sanft und stürmisch, so
humoristisch und melancholisch, so verbindlich und unbe¬
fangen undfrei! er behauptete, die meisten Laster kämen
von der Flucht vor Lastern -- aus Furcht, schlimm zu
handeln, thäten wir nichts und hätten zu nichts
großem mehr Muth -- wir hätten alle so viel Men¬
schenliebe, daß wir keine Ehre mehr hätten -- aus
Menschen-Schonung und Liebe hätten wir keine
Aufrichtigkeit, keine Gerechtigkeit, wir stürzten kei¬
nen Betrüger, keinen Tyrannen etc.,

Ihn wunderte Beata, die nicht den gewöhn¬
lich erzwungenen sondern steigenden Antheil an unsern
Reden nahm: denn er glaubt, mit einer Frau
könne man von Himmel und Hölle, von Gott und
Vaterland sprechen: so denke sie doch unter dem
ganzen Hören an nichts als an ihre Gestalt, ihr

*) Die Zahuri in Spanien sehen durch die verschlossene Erde
hindurch bis zu ihren Schätzen hinab, zu ihren Todten,
zu ihren Metallen etc.
2. Theil. Y

weil er daran denkt. Er hat noch ſeine erhaben¬
leiſe Sprache und ſein Auge, das den Tod geſehen.
Immer noch iſt er ein Zahuri, *) der durch alles
Blumengeniſte und alle Graspartien der Erde durch¬
ſchauet und zu den unbeweglichen Todten hinunter¬
ſieht, die unter ihr liegen. So ſanft und ſtuͤrmiſch, ſo
humoriſtiſch und melancholiſch, ſo verbindlich und unbe¬
fangen undfrei! er behauptete, die meiſten Laſter kaͤmen
von der Flucht vor Laſtern — aus Furcht, ſchlimm zu
handeln, thaͤten wir nichts und haͤtten zu nichts
großem mehr Muth — wir haͤtten alle ſo viel Men¬
ſchenliebe, daß wir keine Ehre mehr haͤtten — aus
Menſchen-Schonung und Liebe haͤtten wir keine
Aufrichtigkeit, keine Gerechtigkeit, wir ſtuͤrzten kei¬
nen Betruͤger, keinen Tyrannen ꝛc.,

Ihn wunderte Beata, die nicht den gewoͤhn¬
lich erzwungenen ſondern ſteigenden Antheil an unſern
Reden nahm: denn er glaubt, mit einer Frau
koͤnne man von Himmel und Hoͤlle, von Gott und
Vaterland ſprechen: ſo denke ſie doch unter dem
ganzen Hoͤren an nichts als an ihre Geſtalt, ihr

*) Die Zahuri in Spanien ſehen durch die verſchloſſene Erde
hindurch bis zu ihren Schätzen hinab, zu ihren Todten,
zu ihren Metallen ꝛc.
2. Theil. Y
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0347" n="337"/>
weil er daran denkt. Er hat noch &#x017F;eine erhaben¬<lb/>
lei&#x017F;e Sprache und &#x017F;ein Auge, das den Tod ge&#x017F;ehen.<lb/>
Immer noch i&#x017F;t er ein Zahuri, <note place="foot" n="*)">Die Zahuri in Spanien &#x017F;ehen durch die ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Erde<lb/>
hindurch bis zu ihren Schätzen hinab, zu ihren Todten,<lb/>
zu ihren Metallen &#xA75B;c.</note> der durch alles<lb/>
Blumengeni&#x017F;te und alle Graspartien der Erde durch¬<lb/>
&#x017F;chauet und zu den unbeweglichen Todten hinunter¬<lb/>
&#x017F;ieht, die unter ihr liegen. So &#x017F;anft und &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;ch, &#x017F;o<lb/>
humori&#x017F;ti&#x017F;ch und melancholi&#x017F;ch, &#x017F;o verbindlich und unbe¬<lb/>
fangen undfrei! er behauptete, die mei&#x017F;ten La&#x017F;ter ka&#x0364;men<lb/>
von der Flucht vor La&#x017F;tern &#x2014; aus Furcht, &#x017F;chlimm zu<lb/>
handeln, tha&#x0364;ten wir nichts und ha&#x0364;tten zu nichts<lb/>
großem mehr Muth &#x2014; wir ha&#x0364;tten alle &#x017F;o viel Men¬<lb/>
&#x017F;chenliebe, daß wir keine Ehre mehr ha&#x0364;tten &#x2014; aus<lb/>
Men&#x017F;chen-Schonung und Liebe ha&#x0364;tten wir keine<lb/>
Aufrichtigkeit, keine Gerechtigkeit, wir &#x017F;tu&#x0364;rzten kei¬<lb/>
nen Betru&#x0364;ger, keinen Tyrannen &#xA75B;c.,</p><lb/>
          <p>Ihn wunderte Beata, die nicht den gewo&#x0364;hn¬<lb/>
lich erzwungenen &#x017F;ondern &#x017F;teigenden Antheil an un&#x017F;ern<lb/>
Reden nahm: denn er glaubt, mit einer Frau<lb/>
ko&#x0364;nne man von Himmel und Ho&#x0364;lle, von Gott und<lb/>
Vaterland &#x017F;prechen: &#x017F;o denke &#x017F;ie doch unter dem<lb/>
ganzen Ho&#x0364;ren an nichts als an ihre Ge&#x017F;talt, ihr<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2. Theil. Y<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[337/0347] weil er daran denkt. Er hat noch ſeine erhaben¬ leiſe Sprache und ſein Auge, das den Tod geſehen. Immer noch iſt er ein Zahuri, *) der durch alles Blumengeniſte und alle Graspartien der Erde durch¬ ſchauet und zu den unbeweglichen Todten hinunter¬ ſieht, die unter ihr liegen. So ſanft und ſtuͤrmiſch, ſo humoriſtiſch und melancholiſch, ſo verbindlich und unbe¬ fangen undfrei! er behauptete, die meiſten Laſter kaͤmen von der Flucht vor Laſtern — aus Furcht, ſchlimm zu handeln, thaͤten wir nichts und haͤtten zu nichts großem mehr Muth — wir haͤtten alle ſo viel Men¬ ſchenliebe, daß wir keine Ehre mehr haͤtten — aus Menſchen-Schonung und Liebe haͤtten wir keine Aufrichtigkeit, keine Gerechtigkeit, wir ſtuͤrzten kei¬ nen Betruͤger, keinen Tyrannen ꝛc., Ihn wunderte Beata, die nicht den gewoͤhn¬ lich erzwungenen ſondern ſteigenden Antheil an unſern Reden nahm: denn er glaubt, mit einer Frau koͤnne man von Himmel und Hoͤlle, von Gott und Vaterland ſprechen: ſo denke ſie doch unter dem ganzen Hoͤren an nichts als an ihre Geſtalt, ihr *) Die Zahuri in Spanien ſehen durch die verſchloſſene Erde hindurch bis zu ihren Schätzen hinab, zu ihren Todten, zu ihren Metallen ꝛc. 2. Theil. Y

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/347
Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/347>, abgerufen am 12.05.2024.