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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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so oft ich vor das athmende Rosengesicht voll
Frühlinge und voll Durst, einen Himmel auszu¬
trinken, trete und bedenke, daß nicht Jahrtau¬
sende sondern Jahrzehende dieses Gesicht in das zu¬
sammen geronnene zerknüllte Gesicht voll überlebter
Hofnungen ausgedorret haben . . . . aber indem
ich über andre mich betrübe, heben und senken mich
die Stufen selber und wir wollen einander nicht so
traurig machen!

Der wichtige Umstand, bei dem uns wie man
behauptet so viel daran gelegen ist, ihn voraus zu
hören, ist nämlich der, daß Wuz eine ganze Bi¬
bliothek -- wie hätte der Mann sich eine kaufen
können -- sich eigenhändig schrieb. Sein Schreib¬
zeug war seine Taschendruckerei; jedes neue Me߬
produckt, dessen Titel das Meisterlein ansichtig
wurde, war nun so gut als geschrieben oder ge¬
kauft: denn es setzte sich so gleich hin und machte
das Produkt und schenkt' es seiner ansehnlichen
Büchersammlung, die wie die heidnischen aus lau¬
ter Manuskripten bestand. Z. B. Kaum waren die
phpsiognomischen Fragmente von Lavater da: so
ließ Wuz diesem fruchtbarem Kopfe dadurch wenig
voraus, daß er sein Konzeptpapier in Quarto brach

ſo oft ich vor das athmende Roſengeſicht voll
Fruͤhlinge und voll Durſt, einen Himmel auszu¬
trinken, trete und bedenke, daß nicht Jahrtau¬
ſende ſondern Jahrzehende dieſes Geſicht in das zu¬
ſammen geronnene zerknuͤllte Geſicht voll uͤberlebter
Hofnungen ausgedorret haben . . . . aber indem
ich uͤber andre mich betruͤbe, heben und ſenken mich
die Stufen ſelber und wir wollen einander nicht ſo
traurig machen!

Der wichtige Umſtand, bei dem uns wie man
behauptet ſo viel daran gelegen iſt, ihn voraus zu
hoͤren, iſt naͤmlich der, daß Wuz eine ganze Bi¬
bliothek — wie haͤtte der Mann ſich eine kaufen
koͤnnen — ſich eigenhaͤndig ſchrieb. Sein Schreib¬
zeug war ſeine Taſchendruckerei; jedes neue Me߬
produckt, deſſen Titel das Meiſterlein anſichtig
wurde, war nun ſo gut als geſchrieben oder ge¬
kauft: denn es ſetzte ſich ſo gleich hin und machte
das Produkt und ſchenkt' es ſeiner anſehnlichen
Buͤcherſammlung, die wie die heidniſchen aus lau¬
ter Manuſkripten beſtand. Z. B. Kaum waren die
phpſiognomiſchen Fragmente von Lavater da: ſo
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[376/0386] ſo oft ich vor das athmende Roſengeſicht voll Fruͤhlinge und voll Durſt, einen Himmel auszu¬ trinken, trete und bedenke, daß nicht Jahrtau¬ ſende ſondern Jahrzehende dieſes Geſicht in das zu¬ ſammen geronnene zerknuͤllte Geſicht voll uͤberlebter Hofnungen ausgedorret haben . . . . aber indem ich uͤber andre mich betruͤbe, heben und ſenken mich die Stufen ſelber und wir wollen einander nicht ſo traurig machen! Der wichtige Umſtand, bei dem uns wie man behauptet ſo viel daran gelegen iſt, ihn voraus zu hoͤren, iſt naͤmlich der, daß Wuz eine ganze Bi¬ bliothek — wie haͤtte der Mann ſich eine kaufen koͤnnen — ſich eigenhaͤndig ſchrieb. Sein Schreib¬ zeug war ſeine Taſchendruckerei; jedes neue Me߬ produckt, deſſen Titel das Meiſterlein anſichtig wurde, war nun ſo gut als geſchrieben oder ge¬ kauft: denn es ſetzte ſich ſo gleich hin und machte das Produkt und ſchenkt' es ſeiner anſehnlichen Buͤcherſammlung, die wie die heidniſchen aus lau¬ ter Manuſkripten beſtand. Z. B. Kaum waren die phpſiognomiſchen Fragmente von Lavater da: ſo ließ Wuz dieſem fruchtbarem Kopfe dadurch wenig voraus, daß er ſein Konzeptpapier in Quarto brach

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/386>, abgerufen am 14.05.2024.