Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

Glocke an den Thüren ein bettelndes Geläute,
das er wie der Begrabne nicht vernahm --
und war nicht der vergessene Fürst ungesehen
und einsamer unter die Erde gelegt als irgend
einer seiner Unterthanen? -- O Zesara, dir
fiel es aufs Herz, wie leicht der Mensch ver¬
gessen wird, er liege in der Urne oder in der
Pyramide -- und wie man unser unsterbliches
Ich wie einen Schauspieler für abwesend
ansieht, sobald es nur in der Kulisse steht und
nicht auf der Bühne unter den Spielern
poltert. -- --

Aber legte nicht der graue Einsiedler Spe¬
ner dem tiefern Einsiedler eine doppelte Ju¬
gend auf die gesunkne Brust? O zählet nicht
in dieser frostigen Stunde des Gepränges die
treue Julienne alle Töne des Leichengeläutes
an ihren Thränen ab, diese arme durch Krank¬
heit nur vom Zeremoniel, nicht vom Schmerze
befreiete Tochter die nun den vorletzten,
vielleicht den letzten Verwandten verloren,
da ihr Bruder kaum einer ist? -- Und wird
Liane in ihrem Elysium nicht das Nachspiel
des Schmerzes errathen, das so nahe vor ihr

Glocke an den Thüren ein bettelndes Geläute,
das er wie der Begrabne nicht vernahm —
und war nicht der vergeſſene Fürſt ungeſehen
und einſamer unter die Erde gelegt als irgend
einer ſeiner Unterthanen? — O Zeſara, dir
fiel es aufs Herz, wie leicht der Menſch ver¬
geſſen wird, er liege in der Urne oder in der
Pyramide — und wie man unſer unſterbliches
Ich wie einen Schauſpieler für abweſend
anſieht, ſobald es nur in der Kuliſſe ſteht und
nicht auf der Bühne unter den Spielern
poltert. — —

Aber legte nicht der graue Einſiedler Spe¬
ner dem tiefern Einſiedler eine doppelte Ju¬
gend auf die geſunkne Bruſt? O zählet nicht
in dieſer froſtigen Stunde des Gepränges die
treue Julienne alle Töne des Leichengeläutes
an ihren Thränen ab, dieſe arme durch Krank¬
heit nur vom Zeremoniel, nicht vom Schmerze
befreiete Tochter die nun den vorletzten,
vielleicht den letzten Verwandten verloren,
da ihr Bruder kaum einer iſt? — Und wird
Liane in ihrem Elyſium nicht das Nachſpiel
des Schmerzes errathen, das ſo nahe vor ihr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0482" n="462"/>
Glocke an den Thüren ein bettelndes Geläute,<lb/>
das er wie der Begrabne nicht vernahm &#x2014;<lb/>
und war nicht der verge&#x017F;&#x017F;ene Für&#x017F;t unge&#x017F;ehen<lb/>
und ein&#x017F;amer unter die Erde gelegt als irgend<lb/>
einer &#x017F;einer Unterthanen? &#x2014; O Ze&#x017F;ara, dir<lb/>
fiel es aufs Herz, wie leicht der Men&#x017F;ch ver¬<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en wird, er liege in der Urne oder in der<lb/>
Pyramide &#x2014; und wie man un&#x017F;er un&#x017F;terbliches<lb/>
Ich wie einen Schau&#x017F;pieler für <hi rendition="#g">abwe&#x017F;end</hi><lb/>
an&#x017F;ieht, &#x017F;obald es nur in der Kuli&#x017F;&#x017F;e &#x017F;teht und<lb/>
nicht auf der Bühne unter den Spielern<lb/>
poltert. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Aber legte nicht der graue Ein&#x017F;iedler Spe¬<lb/>
ner dem tiefern Ein&#x017F;iedler eine doppelte Ju¬<lb/>
gend auf die ge&#x017F;unkne Bru&#x017F;t? O zählet nicht<lb/>
in die&#x017F;er fro&#x017F;tigen Stunde des Gepränges die<lb/>
treue Julienne alle Töne des Leichengeläutes<lb/>
an ihren Thränen ab, die&#x017F;e arme durch Krank¬<lb/>
heit nur vom Zeremoniel, nicht vom Schmerze<lb/>
befreiete Tochter die nun den <hi rendition="#g">vorletzten</hi>,<lb/>
vielleicht den <hi rendition="#g">letzten</hi> Verwandten verloren,<lb/>
da ihr Bruder kaum einer i&#x017F;t? &#x2014; Und wird<lb/>
Liane in ihrem Ely&#x017F;ium nicht das Nach&#x017F;piel<lb/>
des Schmerzes errathen, das &#x017F;o nahe vor ihr<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[462/0482] Glocke an den Thüren ein bettelndes Geläute, das er wie der Begrabne nicht vernahm — und war nicht der vergeſſene Fürſt ungeſehen und einſamer unter die Erde gelegt als irgend einer ſeiner Unterthanen? — O Zeſara, dir fiel es aufs Herz, wie leicht der Menſch ver¬ geſſen wird, er liege in der Urne oder in der Pyramide — und wie man unſer unſterbliches Ich wie einen Schauſpieler für abweſend anſieht, ſobald es nur in der Kuliſſe ſteht und nicht auf der Bühne unter den Spielern poltert. — — Aber legte nicht der graue Einſiedler Spe¬ ner dem tiefern Einſiedler eine doppelte Ju¬ gend auf die geſunkne Bruſt? O zählet nicht in dieſer froſtigen Stunde des Gepränges die treue Julienne alle Töne des Leichengeläutes an ihren Thränen ab, dieſe arme durch Krank¬ heit nur vom Zeremoniel, nicht vom Schmerze befreiete Tochter die nun den vorletzten, vielleicht den letzten Verwandten verloren, da ihr Bruder kaum einer iſt? — Und wird Liane in ihrem Elyſium nicht das Nachſpiel des Schmerzes errathen, das ſo nahe vor ihr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/482
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/482>, abgerufen am 29.04.2024.