sobald er mit dem Muschelwagen der Venus vorfahre, wovor er eine Taube und einen Ha¬ bicht vorgehängt.
Wie herrlich flog der Vormittag dahin auf goldnen Flügeldecken und auf durchsichtigen Flügeln! Der geliebte Albano wurde in alle Veränderungen des Hauses eingeführt; die schönste war in seiner Studierstube, welche Ra¬ bette in ihre Putz-, Näh- und Studierstube um¬ gekleidet hatte, die seit gestern wieder zum Gast- und Lesestübchen Lianens geworden. Wie gern trat er ans Fenster nach Abend, wo er so oft im Krystallspiegel seiner Phantasie seinen un¬ sichtbaren Vater und die Geliebte überirrdisch erscheinen lassen! In die Scheiben waren von seiner Knabenhand viele L. und R. gezogen. Li¬ ane fragte, was die R bedeuteten; -- "Roquai¬ "rol" sagte er, denn sie fragte nicht nach dem L. Unendlich süß floß die Betrachtung um sein Herz, daß doch seine Geliebte in der träu¬ merischen Klause seines ersten grünen Lebens einige blühende Tage verlebe. Liane zeigte ihm mit kindlicher Freude, wie sie alles, näm¬ lich das Zimmer, redlich mit Rabetten theile in
ſobald er mit dem Muſchelwagen der Venus vorfahre, wovor er eine Taube und einen Ha¬ bicht vorgehängt.
Wie herrlich flog der Vormittag dahin auf goldnen Flügeldecken und auf durchſichtigen Flügeln! Der geliebte Albano wurde in alle Veränderungen des Hauſes eingeführt; die ſchönſte war in ſeiner Studierſtube, welche Ra¬ bette in ihre Putz-, Näh- und Studierſtube um¬ gekleidet hatte, die ſeit geſtern wieder zum Gaſt- und Leſeſtübchen Lianens geworden. Wie gern trat er ans Fenſter nach Abend, wo er ſo oft im Kryſtallſpiegel ſeiner Phantaſie ſeinen un¬ ſichtbaren Vater und die Geliebte überirrdiſch erſcheinen laſſen! In die Scheiben waren von ſeiner Knabenhand viele L. und R. gezogen. Li¬ ane fragte, was die R bedeuteten; — „Roquai¬ „rol“ ſagte er, denn ſie fragte nicht nach dem L. Unendlich ſüß floß die Betrachtung um ſein Herz, daß doch ſeine Geliebte in der träu¬ meriſchen Klauſe ſeines erſten grünen Lebens einige blühende Tage verlebe. Liane zeigte ihm mit kindlicher Freude, wie ſie alles, näm¬ lich das Zimmer, redlich mit Rabetten theile in
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ſobald er mit dem Muſchelwagen der Venus
vorfahre, wovor er eine Taube und einen Ha¬
bicht vorgehängt.
Wie herrlich flog der Vormittag dahin auf
goldnen Flügeldecken und auf durchſichtigen
Flügeln! Der geliebte Albano wurde in alle
Veränderungen des Hauſes eingeführt; die
ſchönſte war in ſeiner Studierſtube, welche Ra¬
bette in ihre Putz-, Näh- und Studierſtube um¬
gekleidet hatte, die ſeit geſtern wieder zum Gaſt-
und Leſeſtübchen Lianens geworden. Wie gern
trat er ans Fenſter nach Abend, wo er ſo oft
im Kryſtallſpiegel ſeiner Phantaſie ſeinen un¬
ſichtbaren Vater und die Geliebte überirrdiſch
erſcheinen laſſen! In die Scheiben waren von
ſeiner Knabenhand viele L. und R. gezogen. Li¬
ane fragte, was die R bedeuteten; — „Roquai¬
„rol“ ſagte er, denn ſie fragte nicht nach
dem L. Unendlich ſüß floß die Betrachtung um
ſein Herz, daß doch ſeine Geliebte in der träu¬
meriſchen Klauſe ſeines erſten grünen Lebens
einige blühende Tage verlebe. Liane zeigte
ihm mit kindlicher Freude, wie ſie alles, näm¬
lich das Zimmer, redlich mit Rabetten theile in
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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/179>, abgerufen am 17.06.2024.
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