Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

als einen Stummen bei den Schönheiten der
Bilder und der bilderdienerischen Regentin
vorzustellen. Liane mußte ihm jedes gemalte
Glied mit dem dazu gehörigen Lobe oder Ta¬
del
in sein ernstes Gehirn nachprägen, sammt
dem Namen des Meisters. Wie erfreuet und
vollständig gab sie diese Kallypädie ihrem
brummenden Maler-Kornuten, der nicht eine
einzige dankbare Mine als Schulgeld entrich¬
tete! --

Mittags erst fand die Tochter die ersehnte
Mutter unter den Speisebedienten sehr ernst
und traurig, sie wagte ihr nicht den Mund,
nur die Hand zu küssen, und schlug das
liebeströmende Auge nur scheu und wenig zu
ihr auf. Das Diner schien ein Leichenessen.
Nur der alte Herr, der auf einem Schlachtfeld
seine Hochzeitmenuet getanzt und seinen Ge¬
burtstag gefeiert hätte, war wohlgemuth und
bei Appetit und voll Salz. War Hauskampf,
so speist' er gewöhnlich en famille und holte
sich unter beissenden Tischreden, wie gemeine
Leute im Winter und in der Theuerung, schär¬
fere Eßlust. Zanken stärkt und befeuert schon

als einen Stummen bei den Schönheiten der
Bilder und der bilderdieneriſchen Regentin
vorzuſtellen. Liane mußte ihm jedes gemalte
Glied mit dem dazu gehörigen Lobe oder Ta¬
del
in ſein ernſtes Gehirn nachprägen, ſammt
dem Namen des Meiſters. Wie erfreuet und
vollſtändig gab ſie dieſe Kallypädie ihrem
brummenden Maler-Kornuten, der nicht eine
einzige dankbare Mine als Schulgeld entrich¬
tete! —

Mittags erſt fand die Tochter die erſehnte
Mutter unter den Speiſebedienten ſehr ernſt
und traurig, ſie wagte ihr nicht den Mund,
nur die Hand zu küſſen, und ſchlug das
liebeſtrömende Auge nur ſcheu und wenig zu
ihr auf. Das Diner ſchien ein Leicheneſſen.
Nur der alte Herr, der auf einem Schlachtfeld
ſeine Hochzeitmenuet getanzt und ſeinen Ge¬
burtstag gefeiert hätte, war wohlgemuth und
bei Appetit und voll Salz. War Hauskampf,
ſo ſpeiſt' er gewöhnlich en famille und holte
ſich unter beiſſenden Tiſchreden, wie gemeine
Leute im Winter und in der Theuerung, ſchär¬
fere Eßluſt. Zanken ſtärkt und befeuert ſchon

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0147" n="135"/>
als einen Stummen bei den Schönheiten der<lb/>
Bilder und der bilderdieneri&#x017F;chen Regentin<lb/>
vorzu&#x017F;tellen. Liane mußte ihm jedes gemalte<lb/>
Glied mit dem dazu gehörigen <hi rendition="#g">Lobe</hi> oder <hi rendition="#g">Ta¬<lb/>
del</hi> in &#x017F;ein ern&#x017F;tes Gehirn nachprägen, &#x017F;ammt<lb/>
dem Namen des Mei&#x017F;ters. Wie erfreuet und<lb/>
voll&#x017F;tändig gab &#x017F;ie die&#x017F;e Kallypädie ihrem<lb/>
brummenden Maler-Kornuten, der nicht eine<lb/>
einzige dankbare Mine als Schulgeld entrich¬<lb/>
tete! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Mittags er&#x017F;t fand die Tochter die er&#x017F;ehnte<lb/>
Mutter unter den Spei&#x017F;ebedienten &#x017F;ehr ern&#x017F;t<lb/>
und traurig, &#x017F;ie wagte ihr nicht den Mund,<lb/>
nur die Hand zu kü&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;chlug das<lb/>
liebe&#x017F;trömende Auge nur &#x017F;cheu und wenig zu<lb/>
ihr auf. Das Diner &#x017F;chien ein Leichene&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Nur der alte Herr, der auf einem Schlachtfeld<lb/>
&#x017F;eine Hochzeitmenuet getanzt und &#x017F;einen Ge¬<lb/>
burtstag gefeiert hätte, war wohlgemuth und<lb/>
bei Appetit und voll Salz. War Hauskampf,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;pei&#x017F;t' er gewöhnlich <hi rendition="#aq">en famille</hi> und holte<lb/>
&#x017F;ich unter bei&#x017F;&#x017F;enden Ti&#x017F;chreden, wie gemeine<lb/>
Leute im Winter und in der Theuerung, &#x017F;chär¬<lb/>
fere Eßlu&#x017F;t. Zanken &#x017F;tärkt und befeuert &#x017F;chon<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0147] als einen Stummen bei den Schönheiten der Bilder und der bilderdieneriſchen Regentin vorzuſtellen. Liane mußte ihm jedes gemalte Glied mit dem dazu gehörigen Lobe oder Ta¬ del in ſein ernſtes Gehirn nachprägen, ſammt dem Namen des Meiſters. Wie erfreuet und vollſtändig gab ſie dieſe Kallypädie ihrem brummenden Maler-Kornuten, der nicht eine einzige dankbare Mine als Schulgeld entrich¬ tete! — Mittags erſt fand die Tochter die erſehnte Mutter unter den Speiſebedienten ſehr ernſt und traurig, ſie wagte ihr nicht den Mund, nur die Hand zu küſſen, und ſchlug das liebeſtrömende Auge nur ſcheu und wenig zu ihr auf. Das Diner ſchien ein Leicheneſſen. Nur der alte Herr, der auf einem Schlachtfeld ſeine Hochzeitmenuet getanzt und ſeinen Ge¬ burtstag gefeiert hätte, war wohlgemuth und bei Appetit und voll Salz. War Hauskampf, ſo ſpeiſt' er gewöhnlich en famille und holte ſich unter beiſſenden Tiſchreden, wie gemeine Leute im Winter und in der Theuerung, ſchär¬ fere Eßluſt. Zanken ſtärkt und befeuert ſchon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/147
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/147>, abgerufen am 14.05.2024.