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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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Mond und Morgen in den thauenden Lust¬
wäldern zusammenschienen, und wenn ihm der
Weg, vor einigen Stunden zurückgelegt, ganz
neu vorkam und die Abwesenheit zu lange,
(weil Amors Pfeil halb ein Sekundenzeiger ist
der den Monatstag, und halb ein Monatszei¬
ger der die Sekunde weiset, und weil in der
Nähe der Geliebten die kleinste Abwesenheit
länger dauert als in ihrer Ferne die große) --
und wenn er sie wieder fand: so war die Erde
ein Sonnenkörper, aus welchem Strahlen fuh¬
ren, sein Herz stand in lauter Licht und wie
ein Mensch, der an einem Frühlingsmorgen
von dem Frühlingsmorgen träumt, ihn noch
heller um sich findet, wenn er erwacht, so schlug
er nach dem seeligen Jugendtraum von der
Geliebten die Augen auf vor ihr und verlangte
den schönsten Traum nicht mehr.

Zuweilen sahen sie sich, wenn der lange
Sommertag zu lang wurde, auf entfernten
Bergen, wo sie der Abrede gemäß der Ernte
zusahen; zuweilen kam Rabette allein nach
Lilar zum Bruder, damit er einiges von Lia¬
nen hörte. Wenn Liane ein Buch gelesen: laß

Mond und Morgen in den thauenden Luſt¬
wäldern zuſammenſchienen, und wenn ihm der
Weg, vor einigen Stunden zurückgelegt, ganz
neu vorkam und die Abweſenheit zu lange,
(weil Amors Pfeil halb ein Sekundenzeiger iſt
der den Monatstag, und halb ein Monatszei¬
ger der die Sekunde weiſet, und weil in der
Nähe der Geliebten die kleinſte Abweſenheit
länger dauert als in ihrer Ferne die große) —
und wenn er ſie wieder fand: ſo war die Erde
ein Sonnenkörper, aus welchem Strahlen fuh¬
ren, ſein Herz ſtand in lauter Licht und wie
ein Menſch, der an einem Frühlingsmorgen
von dem Frühlingsmorgen träumt, ihn noch
heller um ſich findet, wenn er erwacht, ſo ſchlug
er nach dem ſeeligen Jugendtraum von der
Geliebten die Augen auf vor ihr und verlangte
den ſchönſten Traum nicht mehr.

Zuweilen ſahen ſie ſich, wenn der lange
Sommertag zu lang wurde, auf entfernten
Bergen, wo ſie der Abrede gemäß der Ernte
zuſahen; zuweilen kam Rabette allein nach
Lilar zum Bruder, damit er einiges von Lia¬
nen hörte. Wenn Liane ein Buch geleſen: laß

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[5/0017] Mond und Morgen in den thauenden Luſt¬ wäldern zuſammenſchienen, und wenn ihm der Weg, vor einigen Stunden zurückgelegt, ganz neu vorkam und die Abweſenheit zu lange, (weil Amors Pfeil halb ein Sekundenzeiger iſt der den Monatstag, und halb ein Monatszei¬ ger der die Sekunde weiſet, und weil in der Nähe der Geliebten die kleinſte Abweſenheit länger dauert als in ihrer Ferne die große) — und wenn er ſie wieder fand: ſo war die Erde ein Sonnenkörper, aus welchem Strahlen fuh¬ ren, ſein Herz ſtand in lauter Licht und wie ein Menſch, der an einem Frühlingsmorgen von dem Frühlingsmorgen träumt, ihn noch heller um ſich findet, wenn er erwacht, ſo ſchlug er nach dem ſeeligen Jugendtraum von der Geliebten die Augen auf vor ihr und verlangte den ſchönſten Traum nicht mehr. Zuweilen ſahen ſie ſich, wenn der lange Sommertag zu lang wurde, auf entfernten Bergen, wo ſie der Abrede gemäß der Ernte zuſahen; zuweilen kam Rabette allein nach Lilar zum Bruder, damit er einiges von Lia¬ nen hörte. Wenn Liane ein Buch geleſen: laß

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/17>, abgerufen am 29.04.2024.