Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

an ihrem jungen, grünen Leben sauge, von ihr
abzunehmen: "Du siehst, (sagte sie,) wie Dein En¬
"gel irren kann, da er Deine Liebe billigte, die
"Du nun mißbilligst." Aber sie hatte eine Ant¬
wort: "nein, der fromme Vater sagte, sie sey
recht gewesen bis da er mir das Geheimniß
sagte und die Bibel sage, man müsse Alles ver¬
lassen der Liebe wegen." -- So steigt denn die¬
ses arme Geschöpf, wie man vom Paradiesvo¬
gel sagt, so lange im Himmel gerade empor,
bis es todt herunterfällt.

Sie zeigte der Mutter fast eine fieberhafte
Heiterkeit, einen Sonnenschein am letzten Tage
des Jahres. Sie sagte, wie es sie erquicke, daß
sie nun mit ihrer lieben Mutter von ihren vo¬
rigen schönen Tagen frei reden dürfe -- sie mal¬
te ihr Albano's glühendes, großes Herz und
wie er die Opfer verdiene, und die "Perlen¬
stunden" die sie zusammengelebt. "Im Grunde
"ist (sagte sie heiter aber so daß dem Zuhörer
"Thränen ankamen,) ja nichts davon vorbei,
"Erinnerungen dauern länger als Gegenwart,
"wie ich Blüthen viele Jahre konserviret habe,
"aber keine Früchte." Ja, es giebt zarte weib¬

an ihrem jungen, grünen Leben ſauge, von ihr
abzunehmen: „Du ſiehſt, (ſagte ſie,) wie Dein En¬
„gel irren kann, da er Deine Liebe billigte, die
„Du nun mißbilligſt.“ Aber ſie hatte eine Ant¬
wort: „nein, der fromme Vater ſagte, ſie ſey
recht geweſen bis da er mir das Geheimniß
ſagte und die Bibel ſage, man müſſe Alles ver¬
laſſen der Liebe wegen.“ — So ſteigt denn die¬
ſes arme Geſchöpf, wie man vom Paradiesvo¬
gel ſagt, ſo lange im Himmel gerade empor,
bis es todt herunterfällt.

Sie zeigte der Mutter faſt eine fieberhafte
Heiterkeit, einen Sonnenſchein am letzten Tage
des Jahres. Sie ſagte, wie es ſie erquicke, daß
ſie nun mit ihrer lieben Mutter von ihren vo¬
rigen ſchönen Tagen frei reden dürfe — ſie mal¬
te ihr Albano's glühendes, großes Herz und
wie er die Opfer verdiene, und die „Perlen¬
ſtunden“ die ſie zuſammengelebt. „Im Grunde
„iſt (ſagte ſie heiter aber ſo daß dem Zuhörer
Thränen ankamen,) ja nichts davon vorbei,
„Erinnerungen dauern länger als Gegenwart,
„wie ich Blüthen viele Jahre konſerviret habe,
„aber keine Früchte.“ Ja, es giebt zarte weib¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0217" n="205"/>
an ihrem jungen, grünen Leben &#x017F;auge, von ihr<lb/>
abzunehmen: &#x201E;Du &#x017F;ieh&#x017F;t, (&#x017F;agte &#x017F;ie,) wie Dein En¬<lb/>
&#x201E;gel irren kann, da er Deine Liebe billigte, die<lb/>
&#x201E;Du nun mißbillig&#x017F;t.&#x201C; Aber &#x017F;ie hatte eine Ant¬<lb/>
wort: &#x201E;nein, der fromme Vater &#x017F;agte, &#x017F;ie &#x017F;ey<lb/>
recht gewe&#x017F;en bis da er mir das Geheimniß<lb/>
&#x017F;agte und die Bibel &#x017F;age, man mü&#x017F;&#x017F;e Alles ver¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en der Liebe wegen.&#x201C; &#x2014; So &#x017F;teigt denn die¬<lb/>
&#x017F;es arme Ge&#x017F;chöpf, wie man vom Paradiesvo¬<lb/>
gel &#x017F;agt, &#x017F;o lange im Himmel gerade empor,<lb/>
bis es todt herunterfällt.</p><lb/>
          <p>Sie zeigte der Mutter fa&#x017F;t eine fieberhafte<lb/>
Heiterkeit, einen Sonnen&#x017F;chein am letzten Tage<lb/>
des Jahres. Sie &#x017F;agte, wie es &#x017F;ie erquicke, daß<lb/>
&#x017F;ie nun mit ihrer lieben Mutter von ihren vo¬<lb/>
rigen &#x017F;chönen Tagen frei reden dürfe &#x2014; &#x017F;ie mal¬<lb/>
te ihr Albano's glühendes, großes Herz und<lb/>
wie er die Opfer verdiene, und die &#x201E;Perlen¬<lb/>
&#x017F;tunden&#x201C; die &#x017F;ie zu&#x017F;ammengelebt. &#x201E;Im Grunde<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t (&#x017F;agte &#x017F;ie heiter aber &#x017F;o daß dem Zuhörer<lb/><choice><sic>,</sic><corr>&#x201E;</corr></choice>Thränen ankamen,) ja nichts davon vorbei,<lb/>
&#x201E;Erinnerungen dauern länger als Gegenwart,<lb/>
&#x201E;wie ich Blüthen viele Jahre kon&#x017F;erviret habe,<lb/>
&#x201E;aber keine Früchte.&#x201C; Ja, es giebt zarte weib¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0217] an ihrem jungen, grünen Leben ſauge, von ihr abzunehmen: „Du ſiehſt, (ſagte ſie,) wie Dein En¬ „gel irren kann, da er Deine Liebe billigte, die „Du nun mißbilligſt.“ Aber ſie hatte eine Ant¬ wort: „nein, der fromme Vater ſagte, ſie ſey recht geweſen bis da er mir das Geheimniß ſagte und die Bibel ſage, man müſſe Alles ver¬ laſſen der Liebe wegen.“ — So ſteigt denn die¬ ſes arme Geſchöpf, wie man vom Paradiesvo¬ gel ſagt, ſo lange im Himmel gerade empor, bis es todt herunterfällt. Sie zeigte der Mutter faſt eine fieberhafte Heiterkeit, einen Sonnenſchein am letzten Tage des Jahres. Sie ſagte, wie es ſie erquicke, daß ſie nun mit ihrer lieben Mutter von ihren vo¬ rigen ſchönen Tagen frei reden dürfe — ſie mal¬ te ihr Albano's glühendes, großes Herz und wie er die Opfer verdiene, und die „Perlen¬ ſtunden“ die ſie zuſammengelebt. „Im Grunde „iſt (ſagte ſie heiter aber ſo daß dem Zuhörer „Thränen ankamen,) ja nichts davon vorbei, „Erinnerungen dauern länger als Gegenwart, „wie ich Blüthen viele Jahre konſerviret habe, „aber keine Früchte.“ Ja, es giebt zarte weib¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/217
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/217>, abgerufen am 03.05.2024.