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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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große Stücke von der schönen Natur ab, misch¬
te einige nähere Rührungen dazu und küßte
sie darauf; so daß sie seine Lippen wirklich in
zwei Gestalten genoß, in der redenden und in der
handelnden; von ihr wollt' er wie gesagt nur
ein Paar offne Ohren. In diesem Kapitel
nahm er noch einige Möglichkeit ihrer -- Hei¬
rath an; die Männer vermengen so leicht den
Reiz einer neuen Liebe mit dem Werth und
der Dauer derselben.

Er machte sich an sein zweites Kapitel und
schwamm darin seelig in den Thränen, aus de¬
nen er es zu schreiben suchte. In der That ge¬
währte ihm diese Augenlust mehr wahre Freu¬
de als fast die besten Kapitel. Wenn er so ne¬
ben ihr saß und trank -- denn wie ein todtes
Fürsten-Herz begrub er gern sein lebendes in
Kelche -- und nun anfieng zu mahlen sein Leben,
besonders seinen Tod, und seine Leiden und
Irrthümer vorher und seinen Selbst- und Kna¬
benmord auf der Redoute und seine weggesto¬
ßene Liebe für Linda: wer war da mehr zu
Thränen bewegt als er selber? -- Niemand
als Rabette, deren Augen -- durch ihren Va¬

große Stücke von der ſchönen Natur ab, miſch¬
te einige nähere Rührungen dazu und küßte
ſie darauf; ſo daß ſie ſeine Lippen wirklich in
zwei Geſtalten genoß, in der redenden und in der
handelnden; von ihr wollt' er wie geſagt nur
ein Paar offne Ohren. In dieſem Kapitel
nahm er noch einige Möglichkeit ihrer — Hei¬
rath an; die Männer vermengen ſo leicht den
Reiz einer neuen Liebe mit dem Werth und
der Dauer derſelben.

Er machte ſich an ſein zweites Kapitel und
ſchwamm darin ſeelig in den Thränen, aus de¬
nen er es zu ſchreiben ſuchte. In der That ge¬
währte ihm dieſe Augenluſt mehr wahre Freu¬
de als faſt die beſten Kapitel. Wenn er ſo ne¬
ben ihr ſaß und trank — denn wie ein todtes
Fürſten-Herz begrub er gern ſein lebendes in
Kelche — und nun anfieng zu mahlen ſein Leben,
beſonders ſeinen Tod, und ſeine Leiden und
Irrthümer vorher und ſeinen Selbſt- und Kna¬
benmord auf der Redoute und ſeine weggeſto¬
ßene Liebe für Linda: wer war da mehr zu
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[265/0277] große Stücke von der ſchönen Natur ab, miſch¬ te einige nähere Rührungen dazu und küßte ſie darauf; ſo daß ſie ſeine Lippen wirklich in zwei Geſtalten genoß, in der redenden und in der handelnden; von ihr wollt' er wie geſagt nur ein Paar offne Ohren. In dieſem Kapitel nahm er noch einige Möglichkeit ihrer — Hei¬ rath an; die Männer vermengen ſo leicht den Reiz einer neuen Liebe mit dem Werth und der Dauer derſelben. Er machte ſich an ſein zweites Kapitel und ſchwamm darin ſeelig in den Thränen, aus de¬ nen er es zu ſchreiben ſuchte. In der That ge¬ währte ihm dieſe Augenluſt mehr wahre Freu¬ de als faſt die beſten Kapitel. Wenn er ſo ne¬ ben ihr ſaß und trank — denn wie ein todtes Fürſten-Herz begrub er gern ſein lebendes in Kelche — und nun anfieng zu mahlen ſein Leben, beſonders ſeinen Tod, und ſeine Leiden und Irrthümer vorher und ſeinen Selbſt- und Kna¬ benmord auf der Redoute und ſeine weggeſto¬ ßene Liebe für Linda: wer war da mehr zu Thränen bewegt als er ſelber? — Niemand als Rabette, deren Augen — durch ihren Va¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/277>, abgerufen am 15.05.2024.