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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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lende Reise könne, daß man sie so tief in solche
phantastische Verwicklungen ziehen wolle. -- In
dieser Sekunde trat Julienne blaß herzu und
sagte, sie habe schon seit dem Morgen Nach¬
richt davon, das Erscheinen sey einer so guten
Seele Pflicht. -- Da antwortete Idoine sich
und alles bedenkend und mit Würde: es sey
gar nicht das Ungewöhnliche und Unschickliche,
was sie schrecke, sondern das Unwahre und Un¬
würdige, da sie mit dem heiligen Namen einer
abgeschiednen Seele und mit einer flachen Ähn¬
lichkeit einen Kranken belügen solle. -- Die Grä¬
fin sagte, sie wisse darauf keine Antwort und
doch sey ihr Gefühl nicht dagegen -- Alle schwie¬
gen verlegen. -- -- Die gewissenhafte Idoine
war im weichsten Herzen bewegt, das unter
dem Gewichte einer solchen Entscheidung über
ein Leben zitternd erlag. -- Endlich sagte Linda
mit ihrem Scharfsinn: es wird aber doch ei¬
gentlich kein moralischer Mensch getäuscht, son¬
dern ein Schlafender, ein Träumer, und Ein¬
bildung und Lüge soll ja an ihm nicht bestärkt,
sondern besiegt werden. -- Julienne nahm Idoi¬
nen mit sich, um ihr den Jüngling, den sie so

lende Reiſe könne, daß man ſie ſo tief in ſolche
phantaſtiſche Verwicklungen ziehen wolle. — In
dieſer Sekunde trat Julienne blaß herzu und
ſagte, ſie habe ſchon ſeit dem Morgen Nach¬
richt davon, das Erſcheinen ſey einer ſo guten
Seele Pflicht. — Da antwortete Idoine ſich
und alles bedenkend und mit Würde: es ſey
gar nicht das Ungewöhnliche und Unſchickliche,
was ſie ſchrecke, ſondern das Unwahre und Un¬
würdige, da ſie mit dem heiligen Namen einer
abgeſchiednen Seele und mit einer flachen Ähn¬
lichkeit einen Kranken belügen ſolle. — Die Grä¬
fin ſagte, ſie wiſſe darauf keine Antwort und
doch ſey ihr Gefühl nicht dagegen — Alle ſchwie¬
gen verlegen. — — Die gewiſſenhafte Idoine
war im weichſten Herzen bewegt, das unter
dem Gewichte einer ſolchen Entſcheidung über
ein Leben zitternd erlag. — Endlich ſagte Linda
mit ihrem Scharfſinn: es wird aber doch ei¬
gentlich kein moraliſcher Menſch getäuſcht, ſon¬
dern ein Schlafender, ein Träumer, und Ein¬
bildung und Lüge ſoll ja an ihm nicht beſtärkt,
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[411/0423] lende Reiſe könne, daß man ſie ſo tief in ſolche phantaſtiſche Verwicklungen ziehen wolle. — In dieſer Sekunde trat Julienne blaß herzu und ſagte, ſie habe ſchon ſeit dem Morgen Nach¬ richt davon, das Erſcheinen ſey einer ſo guten Seele Pflicht. — Da antwortete Idoine ſich und alles bedenkend und mit Würde: es ſey gar nicht das Ungewöhnliche und Unſchickliche, was ſie ſchrecke, ſondern das Unwahre und Un¬ würdige, da ſie mit dem heiligen Namen einer abgeſchiednen Seele und mit einer flachen Ähn¬ lichkeit einen Kranken belügen ſolle. — Die Grä¬ fin ſagte, ſie wiſſe darauf keine Antwort und doch ſey ihr Gefühl nicht dagegen — Alle ſchwie¬ gen verlegen. — — Die gewiſſenhafte Idoine war im weichſten Herzen bewegt, das unter dem Gewichte einer ſolchen Entſcheidung über ein Leben zitternd erlag. — Endlich ſagte Linda mit ihrem Scharfſinn: es wird aber doch ei¬ gentlich kein moraliſcher Menſch getäuſcht, ſon¬ dern ein Schlafender, ein Träumer, und Ein¬ bildung und Lüge ſoll ja an ihm nicht beſtärkt, ſondern beſiegt werden. — Julienne nahm Idoi¬ nen mit ſich, um ihr den Jüngling, den ſie ſo

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/423>, abgerufen am 03.05.2024.