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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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Ihr milder, barmherziger Geist sie aufreisse und
ihn auf der Schwelle heilend berühre.

Kurz vor acht Uhr kamen in Sänften die
Fürstin und ihre Schwester. Schoppe wurde
selber schaudernd von dieser auferstandnen Lia¬
ne ergriffen. Mit funkelndem Auge und ver¬
sperrtem Munde führt' er die schönen Schwe¬
stern in die Kulisse, auf deren Bühne draussen
sie schon den Jüngling beten hörten. Aber
Idoinens zarte Glieder zitterten vor der unge¬
übten Rolle, worin ihr wahrhafter Geist sich
verläugnen sollte; sie weinte darüber und der
fromme schöne Mund war voll stummer Seuf¬
zer; oft mußte die Schwester sie umarmen, um
ihr Muth zu machen.

Die Glocke schlug -- fürchterlich-heiß flehte
der Wahnsinnige drinnen um Frieden -- die
Zunge der Stunde gebot -- Idoine schickte ei¬
nen Blick als Gebet zu Gott. -- Schoppe öff¬
nete langsam die Thüre. -- --

Drinnen knieete mit gen Himmel gehobnen
Armen und Augen ein schöner in der magischen
Dunkelheit blühender Göttersohn im eisernen
Zauberkreise des finstern Wahnsinns und rief

Ihr milder, barmherziger Geiſt ſie aufreiſſe und
ihn auf der Schwelle heilend berühre.

Kurz vor acht Uhr kamen in Sänften die
Fürſtin und ihre Schweſter. Schoppe wurde
ſelber ſchaudernd von dieſer auferſtandnen Lia¬
ne ergriffen. Mit funkelndem Auge und ver¬
ſperrtem Munde führt' er die ſchönen Schwe¬
ſtern in die Kuliſſe, auf deren Bühne drauſſen
ſie ſchon den Jüngling beten hörten. Aber
Idoinens zarte Glieder zitterten vor der unge¬
übten Rolle, worin ihr wahrhafter Geiſt ſich
verläugnen ſollte; ſie weinte darüber und der
fromme ſchöne Mund war voll ſtummer Seuf¬
zer; oft mußte die Schweſter ſie umarmen, um
ihr Muth zu machen.

Die Glocke ſchlug — fürchterlich-heiß flehte
der Wahnſinnige drinnen um Frieden — die
Zunge der Stunde gebot — Idoine ſchickte ei¬
nen Blick als Gebet zu Gott. — Schoppe öff¬
nete langſam die Thüre. — —

Drinnen knieete mit gen Himmel gehobnen
Armen und Augen ein ſchöner in der magiſchen
Dunkelheit blühender Götterſohn im eiſernen
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[413/0425] Ihr milder, barmherziger Geiſt ſie aufreiſſe und ihn auf der Schwelle heilend berühre. Kurz vor acht Uhr kamen in Sänften die Fürſtin und ihre Schweſter. Schoppe wurde ſelber ſchaudernd von dieſer auferſtandnen Lia¬ ne ergriffen. Mit funkelndem Auge und ver¬ ſperrtem Munde führt' er die ſchönen Schwe¬ ſtern in die Kuliſſe, auf deren Bühne drauſſen ſie ſchon den Jüngling beten hörten. Aber Idoinens zarte Glieder zitterten vor der unge¬ übten Rolle, worin ihr wahrhafter Geiſt ſich verläugnen ſollte; ſie weinte darüber und der fromme ſchöne Mund war voll ſtummer Seuf¬ zer; oft mußte die Schweſter ſie umarmen, um ihr Muth zu machen. Die Glocke ſchlug — fürchterlich-heiß flehte der Wahnſinnige drinnen um Frieden — die Zunge der Stunde gebot — Idoine ſchickte ei¬ nen Blick als Gebet zu Gott. — Schoppe öff¬ nete langſam die Thüre. — — Drinnen knieete mit gen Himmel gehobnen Armen und Augen ein ſchöner in der magiſchen Dunkelheit blühender Götterſohn im eiſernen Zauberkreiſe des finſtern Wahnſinns und rief

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/425>, abgerufen am 03.05.2024.