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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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sah, wenn sie auch mehr eine Braut Gottes als
die eines Menschen blieb. Er fühlte jetzt frei¬
lich mehr, wie hoch seine Foderungen an wirk¬
liche Freunde stiegen, als sonst, wo er die höch¬
sten an geträumte Wesen, die er immer gerade
in die jedesmalige Form seines Herzens goß,
nach Gefallen steigern konnte; und wie in ihm
ein niemand schonender Geist regiere, der jedem
fremden die Flügel nach seinen eignen ausdeh¬
nen wolle, weil er keine Eigenheit dulde außer
der kopirten. --

Er hatte bisher von allen seinen Geliebten
zu wenig Widerstand erfahren wie Liane zu
viel; beides schadet dem Menschen. Der gei¬
stige wie der physische wird ohne Widerstand
der äussern Luft von der innern aufgeblasen
und zersprengt, und ohne Widerstand der in¬
nern von der äussern zusammengequetscht; nur
das Gleichgewicht zwischen innerer Wehr und
äusserem Druck hält einen schönen Spielraum
für das Leben und sein Bilden frei. -- Män¬
ner dulden ohnehin -- da nur die besten an
den besten Männern feste, starke Überzeugung
achten -- diese an Weibern schwer und wollen

ſah, wenn ſie auch mehr eine Braut Gottes als
die eines Menſchen blieb. Er fühlte jetzt frei¬
lich mehr, wie hoch ſeine Foderungen an wirk¬
liche Freunde ſtiegen, als ſonſt, wo er die höch¬
ſten an geträumte Weſen, die er immer gerade
in die jedesmalige Form ſeines Herzens goß,
nach Gefallen ſteigern konnte; und wie in ihm
ein niemand ſchonender Geiſt regiere, der jedem
fremden die Flügel nach ſeinen eignen ausdeh¬
nen wolle, weil er keine Eigenheit dulde außer
der kopirten. —

Er hatte bisher von allen ſeinen Geliebten
zu wenig Widerſtand erfahren wie Liane zu
viel; beides ſchadet dem Menſchen. Der gei¬
ſtige wie der phyſiſche wird ohne Widerſtand
der äuſſern Luft von der innern aufgeblaſen
und zerſprengt, und ohne Widerſtand der in¬
nern von der äuſſern zuſammengequetſcht; nur
das Gleichgewicht zwiſchen innerer Wehr und
äuſſerem Druck hält einen ſchönen Spielraum
für das Leben und ſein Bilden frei. — Män¬
ner dulden ohnehin — da nur die beſten an
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[45/0057] ſah, wenn ſie auch mehr eine Braut Gottes als die eines Menſchen blieb. Er fühlte jetzt frei¬ lich mehr, wie hoch ſeine Foderungen an wirk¬ liche Freunde ſtiegen, als ſonſt, wo er die höch¬ ſten an geträumte Weſen, die er immer gerade in die jedesmalige Form ſeines Herzens goß, nach Gefallen ſteigern konnte; und wie in ihm ein niemand ſchonender Geiſt regiere, der jedem fremden die Flügel nach ſeinen eignen ausdeh¬ nen wolle, weil er keine Eigenheit dulde außer der kopirten. — Er hatte bisher von allen ſeinen Geliebten zu wenig Widerſtand erfahren wie Liane zu viel; beides ſchadet dem Menſchen. Der gei¬ ſtige wie der phyſiſche wird ohne Widerſtand der äuſſern Luft von der innern aufgeblaſen und zerſprengt, und ohne Widerſtand der in¬ nern von der äuſſern zuſammengequetſcht; nur das Gleichgewicht zwiſchen innerer Wehr und äuſſerem Druck hält einen ſchönen Spielraum für das Leben und ſein Bilden frei. — Män¬ ner dulden ohnehin — da nur die beſten an den beſten Männern feſte, ſtarke Überzeugung achten — dieſe an Weibern ſchwer und wollen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/57>, abgerufen am 29.04.2024.