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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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nichts braucht als noch eines, aber keinen
Park dazu, keine opera seria, keinen Mozart,
keinen Raphael, keine Mondsfinsterniß, nicht
einmal einen Mondschein und keinen vorgelese¬
nen oder nachgespielten Roman!

"Zuerst muß ich meine Chariton sehen" --
sagte Liane. -- "Die kann uns ja, (nahm ihr
"Bruder sogleich auf,) unser Essen in den gothi¬
"schen Tempel nachtragen." -- Er wollte an
diesem holden Tage im 12ten Jahrhundert es¬
sen, und bei einem bänglichen, bunten Schei¬
benlicht und auf eckigem, schwerem, dickem Ge¬
räth und gleichsam dunkel unter der Erde der
oben grünenden Gegenwart mit blühenden Ge¬
sichtern sitzen; denn so überlud er die vollsten
Genüsse noch mit äussern Kontrasten, und ge¬
noß jede frohe Gegenwart am meisten in der na¬
hen Beleuchtung und Abspieglung der geschliff¬
nen Sichel, die sie abmähte *). "Gott bewahre

*) "Ein solcher Karakter, (schreibt Hafenreffer da¬
"bei,) wäre für Romanen-Kotzebue's erwünscht,
"weil diese, da er seiner Natur nach immer den

nichts braucht als noch eines, aber keinen
Park dazu, keine opera seria, keinen Mozart,
keinen Raphael, keine Mondsfinſterniß, nicht
einmal einen Mondſchein und keinen vorgeleſe¬
nen oder nachgeſpielten Roman!

„Zuerſt muß ich meine Chariton ſehen“ —
ſagte Liane. — „Die kann uns ja, (nahm ihr
„Bruder ſogleich auf,) unſer Eſſen in den gothi¬
„ſchen Tempel nachtragen.“ — Er wollte an
dieſem holden Tage im 12ten Jahrhundert es¬
ſen, und bei einem bänglichen, bunten Schei¬
benlicht und auf eckigem, ſchwerem, dickem Ge¬
räth und gleichſam dunkel unter der Erde der
oben grünenden Gegenwart mit blühenden Ge¬
ſichtern ſitzen; denn ſo überlud er die vollſten
Genüſſe noch mit äuſſern Kontraſten, und ge¬
noß jede frohe Gegenwart am meiſten in der na¬
hen Beleuchtung und Abſpieglung der geſchliff¬
nen Sichel, die ſie abmähte *). „Gott bewahre

*) „Ein ſolcher Karakter, (ſchreibt Hafenreffer da¬
„bei,) wäre für Romanen-Kotzebue's erwünſcht,
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[58/0070] nichts braucht als noch eines, aber keinen Park dazu, keine opera seria, keinen Mozart, keinen Raphael, keine Mondsfinſterniß, nicht einmal einen Mondſchein und keinen vorgeleſe¬ nen oder nachgeſpielten Roman! „Zuerſt muß ich meine Chariton ſehen“ — ſagte Liane. — „Die kann uns ja, (nahm ihr „Bruder ſogleich auf,) unſer Eſſen in den gothi¬ „ſchen Tempel nachtragen.“ — Er wollte an dieſem holden Tage im 12ten Jahrhundert es¬ ſen, und bei einem bänglichen, bunten Schei¬ benlicht und auf eckigem, ſchwerem, dickem Ge¬ räth und gleichſam dunkel unter der Erde der oben grünenden Gegenwart mit blühenden Ge¬ ſichtern ſitzen; denn ſo überlud er die vollſten Genüſſe noch mit äuſſern Kontraſten, und ge¬ noß jede frohe Gegenwart am meiſten in der na¬ hen Beleuchtung und Abſpieglung der geſchliff¬ nen Sichel, die ſie abmähte *). „Gott bewahre *) „Ein ſolcher Karakter, (ſchreibt Hafenreffer da¬ „bei,) wäre für Romanen-Kotzebue's erwünſcht, „weil dieſe, da er ſeiner Natur nach immer den

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/70>, abgerufen am 29.04.2024.