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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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wie in ein neues Land; mitten im Tage wird
der Mensch aus Einem Traum nach dem an¬
dern wach und hat immer vergessen und sieht
immer verneuet. In Albano stand der goldne
Seitenglanz der Freude noch unter der weg¬
rückenden Sonne; er sagte ihr froh, wie oft er
sie besuchen würde bei ihren Eltern und wie er
diese gewiß befreundet zu finden hofte. Liane
mahlte alle seine Hofnungen noch als Tochter
und Liebende mit ihren aus. Aber jetzt ließ
sie ihr vorhin leichtes Herz, das auf den Blu¬
men des Scherzes sich wiegte, auf dem festern
Ernst ausruhen.

Wenn im Menschen Friede und Fülle ist,
so will er nichts mehr geniessen als sich, jede
Bewegung, sogar die körperliche, verschüttet
den vollen Nektarkelch. -- Sie eilten aus dem
lauten, regen Garten ins stille, dunkle Donner¬
häuschen. Aber da sie, wie geschieden von der
Welt, die um die Fenster hellglänzend und sich
entfernend hinauslag, in der kleinen Dämme¬
rung einsam nebeneinander standen und sich
ansahen -- und da Albano's Seele war wie
ein sonnentrunkenes Gebirge am Abend, licht,

wie in ein neues Land; mitten im Tage wird
der Menſch aus Einem Traum nach dem an¬
dern wach und hat immer vergeſſen und ſieht
immer verneuet. In Albano ſtand der goldne
Seitenglanz der Freude noch unter der weg¬
rückenden Sonne; er ſagte ihr froh, wie oft er
ſie beſuchen würde bei ihren Eltern und wie er
dieſe gewiß befreundet zu finden hofte. Liane
mahlte alle ſeine Hofnungen noch als Tochter
und Liebende mit ihren aus. Aber jetzt ließ
ſie ihr vorhin leichtes Herz, das auf den Blu¬
men des Scherzes ſich wiegte, auf dem feſtern
Ernſt ausruhen.

Wenn im Menſchen Friede und Fülle iſt,
ſo will er nichts mehr genieſſen als ſich, jede
Bewegung, ſogar die körperliche, verſchüttet
den vollen Nektarkelch. — Sie eilten aus dem
lauten, regen Garten ins ſtille, dunkle Donner¬
häuschen. Aber da ſie, wie geſchieden von der
Welt, die um die Fenſter hellglänzend und ſich
entfernend hinauslag, in der kleinen Dämme¬
rung einſam nebeneinander ſtanden und ſich
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ein ſonnentrunkenes Gebirge am Abend, licht,

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[75/0087] wie in ein neues Land; mitten im Tage wird der Menſch aus Einem Traum nach dem an¬ dern wach und hat immer vergeſſen und ſieht immer verneuet. In Albano ſtand der goldne Seitenglanz der Freude noch unter der weg¬ rückenden Sonne; er ſagte ihr froh, wie oft er ſie beſuchen würde bei ihren Eltern und wie er dieſe gewiß befreundet zu finden hofte. Liane mahlte alle ſeine Hofnungen noch als Tochter und Liebende mit ihren aus. Aber jetzt ließ ſie ihr vorhin leichtes Herz, das auf den Blu¬ men des Scherzes ſich wiegte, auf dem feſtern Ernſt ausruhen. Wenn im Menſchen Friede und Fülle iſt, ſo will er nichts mehr genieſſen als ſich, jede Bewegung, ſogar die körperliche, verſchüttet den vollen Nektarkelch. — Sie eilten aus dem lauten, regen Garten ins ſtille, dunkle Donner¬ häuschen. Aber da ſie, wie geſchieden von der Welt, die um die Fenſter hellglänzend und ſich entfernend hinauslag, in der kleinen Dämme¬ rung einſam nebeneinander ſtanden und ſich anſahen — und da Albano's Seele war wie ein ſonnentrunkenes Gebirge am Abend, licht,

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/87>, abgerufen am 27.04.2024.