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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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wär' ich vor vier Tagen, Linda, wo ich Dich
noch nicht kannte und noch nicht hatte, hier
gestanden und hätte angesehen diesen Abend --
das goldne Meer -- das heitere Portici, das
Sonne und Meer mit Flammen anspühlen --
den herrlichen Vesuv mit goldgrünen Myrten
umwunden und mit dem grauen Aschen-Haupt
voll Sonnengluth -- und hinter mir die grüne
Ebene voll Wolken aus Blüthenstaub, die aus
Gärten steigen und in Gärten regnen -- und den
ganzen webenden Zauberkreis freudiger Kräfte,
diese in Licht und Leben schwimmende Welt: --
dann, Linda, hätte ohne Dich durch die warme
Seeligkeit ein kalter Schmerz gezückt und im
goldnen Abendlicht wären Erinnerungen mit
Trauer-Larven gegangen.

O Linda, wie hast Du meine Welt gerei¬
nigt und erweitert und ich bin nun überall
glücklich. Du hast den schweren scharfen Pflug
des Lebens, der mühsam an der Ernte arbeitet,
in einen leichten Griffel und Pinsel verwandelt,
der umherspielt bis er eine Götter-Gestalt er¬
schafft. Sah' ich heute nicht jeden Tempel und
jeden Hügel froher, wie von Dir vergoldet und

Titan IV. M

wär' ich vor vier Tagen, Linda, wo ich Dich
noch nicht kannte und noch nicht hatte, hier
geſtanden und hätte angeſehen dieſen Abend —
das goldne Meer — das heitere Portici, das
Sonne und Meer mit Flammen anſpühlen —
den herrlichen Veſuv mit goldgrünen Myrten
umwunden und mit dem grauen Aſchen-Haupt
voll Sonnengluth — und hinter mir die grüne
Ebene voll Wolken aus Blüthenſtaub, die aus
Gärten ſteigen und in Gärten regnen — und den
ganzen webenden Zauberkreis freudiger Kräfte,
dieſe in Licht und Leben ſchwimmende Welt: —
dann, Linda, hätte ohne Dich durch die warme
Seeligkeit ein kalter Schmerz gezückt und im
goldnen Abendlicht wären Erinnerungen mit
Trauer-Larven gegangen.

O Linda, wie haſt Du meine Welt gerei¬
nigt und erweitert und ich bin nun überall
glücklich. Du haſt den ſchweren ſcharfen Pflug
des Lebens, der mühſam an der Ernte arbeitet,
in einen leichten Griffel und Pinſel verwandelt,
der umherſpielt bis er eine Götter-Geſtalt er¬
ſchafft. Sah' ich heute nicht jeden Tempel und
jeden Hügel froher, wie von Dir vergoldet und

Titan IV. M
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[177/0189] wär' ich vor vier Tagen, Linda, wo ich Dich noch nicht kannte und noch nicht hatte, hier geſtanden und hätte angeſehen dieſen Abend — das goldne Meer — das heitere Portici, das Sonne und Meer mit Flammen anſpühlen — den herrlichen Veſuv mit goldgrünen Myrten umwunden und mit dem grauen Aſchen-Haupt voll Sonnengluth — und hinter mir die grüne Ebene voll Wolken aus Blüthenſtaub, die aus Gärten ſteigen und in Gärten regnen — und den ganzen webenden Zauberkreis freudiger Kräfte, dieſe in Licht und Leben ſchwimmende Welt: — dann, Linda, hätte ohne Dich durch die warme Seeligkeit ein kalter Schmerz gezückt und im goldnen Abendlicht wären Erinnerungen mit Trauer-Larven gegangen. O Linda, wie haſt Du meine Welt gerei¬ nigt und erweitert und ich bin nun überall glücklich. Du haſt den ſchweren ſcharfen Pflug des Lebens, der mühſam an der Ernte arbeitet, in einen leichten Griffel und Pinſel verwandelt, der umherſpielt bis er eine Götter-Geſtalt er¬ ſchafft. Sah' ich heute nicht jeden Tempel und jeden Hügel froher, wie von Dir vergoldet und Titan IV. M

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/189>, abgerufen am 06.05.2024.