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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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nach Lilars Walde hinüber lag überall noch
der junge schimmernde Thau der Kindheit un¬
vertrocknet von der Sonne Hesperiens; auch
manche Thränentropfen standen darunter auf
Blumen; aber sein frischer genesender Geist
wehrte sich jetzt gegen weiches Verschwimmen
in die laue Verflossenheit, diese Lethe der Ge¬
genwart. Im Dorfe wurd' er über ein Pferd,
das man beschlug, betroffen, weil ers an Zeu¬
ge und allem als Roquairol's Freudenpferd er¬
kannte. Ein Fest trug er in das Fest hinein,
als er in die laute Vaters-Stube voll Geburts¬
tagswähler trat, blühend, entwickelt, gerade,
ein befestigter Mann mit entschiednem Blick
und Zug. Rabette schrie auf -- Roquairol
rief: "Aha!" -- und der alte Lehrer Weh¬
meier: "Gott und mein Herr!" -- und seine
Kindheits-Engel, die Eltern, umfaßten ihn
unverändert und aus Albinens blauen Augen
rannen die hellen Tropfen.

Aber verändert stand die fremde Jugend
neben seiner. Rabettens Angesicht, die vorigen
vollen Wangen und blühenden Lippen waren
niedergefallen und mit dem aufliegenden weis¬

nach Lilars Walde hinüber lag überall noch
der junge ſchimmernde Thau der Kindheit un¬
vertrocknet von der Sonne Heſperiens; auch
manche Thränentropfen ſtanden darunter auf
Blumen; aber ſein friſcher geneſender Geiſt
wehrte ſich jetzt gegen weiches Verſchwimmen
in die laue Verfloſſenheit, dieſe Lethe der Ge¬
genwart. Im Dorfe wurd' er über ein Pferd,
das man beſchlug, betroffen, weil ers an Zeu¬
ge und allem als Roquairol's Freudenpferd er¬
kannte. Ein Feſt trug er in das Feſt hinein,
als er in die laute Vaters-Stube voll Geburts¬
tagswähler trat, blühend, entwickelt, gerade,
ein befeſtigter Mann mit entſchiednem Blick
und Zug. Rabette ſchrie auf — Roquairol
rief: „Aha!“ — und der alte Lehrer Weh¬
meier: „Gott und mein Herr!“ — und ſeine
Kindheits-Engel, die Eltern, umfaßten ihn
unverändert und aus Albinens blauen Augen
rannen die hellen Tropfen.

Aber verändert ſtand die fremde Jugend
neben ſeiner. Rabettens Angeſicht, die vorigen
vollen Wangen und blühenden Lippen waren
niedergefallen und mit dem aufliegenden weis¬

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[265/0277] nach Lilars Walde hinüber lag überall noch der junge ſchimmernde Thau der Kindheit un¬ vertrocknet von der Sonne Heſperiens; auch manche Thränentropfen ſtanden darunter auf Blumen; aber ſein friſcher geneſender Geiſt wehrte ſich jetzt gegen weiches Verſchwimmen in die laue Verfloſſenheit, dieſe Lethe der Ge¬ genwart. Im Dorfe wurd' er über ein Pferd, das man beſchlug, betroffen, weil ers an Zeu¬ ge und allem als Roquairol's Freudenpferd er¬ kannte. Ein Feſt trug er in das Feſt hinein, als er in die laute Vaters-Stube voll Geburts¬ tagswähler trat, blühend, entwickelt, gerade, ein befeſtigter Mann mit entſchiednem Blick und Zug. Rabette ſchrie auf — Roquairol rief: „Aha!“ — und der alte Lehrer Weh¬ meier: „Gott und mein Herr!“ — und ſeine Kindheits-Engel, die Eltern, umfaßten ihn unverändert und aus Albinens blauen Augen rannen die hellen Tropfen. Aber verändert ſtand die fremde Jugend neben ſeiner. Rabettens Angeſicht, die vorigen vollen Wangen und blühenden Lippen waren niedergefallen und mit dem aufliegenden weis¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/277>, abgerufen am 02.05.2024.