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Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803.

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ein Unglück zwischen Dir und meinem Bruder?"
fragte Julienne, in welcher die Verwandtschaft
immer wärmer sorgte als die Freundschaft. "Er¬
warte nur den Ritter, (antwortete sie,) ich hab'
ihn herbitten lassen."

Er trat eben herein. Sie bat ihn, sich in
diese kurze Nacht zu fügen. Nach einigem
Schweigen stand sie stolz vom Stuhle auf, die
schwarzgekleidete lange Gestalt hob vor dem
Ritter, den sie nicht sah, die großen Augen
gen Himmel, ihr stolzes Leben, bis jetzt ins Lei¬
chentuch gewickelt, schlug das Tuch zurück und
stand blühend von Todten auf und sie redete
den Ritter an: "verehrter Gaspard, Sie ver¬
sprachen es mir, so wie auch mein Vater, daß
dieser an meinem Hochzeittage mir erscheinen
werde. Der Tag ist vorbei. -- Ich bin eine
Wittwe. Nun erschein' er mir."

Hier unterbrach sie der Ritter: "vorbei?
-- O, ganz recht! Ist er denn etwas gescheu¬
teres und sittlicheres als ein Mensch?" -- und
spottete wider seine Weise zornig-aufglühend,
weil er glaubte, voa Albano, dem er so lange
vertrauet, sey die Rede.

ein Unglück zwiſchen Dir und meinem Bruder?“
fragte Julienne, in welcher die Verwandtſchaft
immer wärmer ſorgte als die Freundſchaft. „Er¬
warte nur den Ritter, (antwortete ſie,) ich hab'
ihn herbitten laſſen.“

Er trat eben herein. Sie bat ihn, ſich in
dieſe kurze Nacht zu fügen. Nach einigem
Schweigen ſtand ſie ſtolz vom Stuhle auf, die
ſchwarzgekleidete lange Geſtalt hob vor dem
Ritter, den ſie nicht ſah, die großen Augen
gen Himmel, ihr ſtolzes Leben, bis jetzt ins Lei¬
chentuch gewickelt, ſchlug das Tuch zurück und
ſtand blühend von Todten auf und ſie redete
den Ritter an: „verehrter Gaſpard, Sie ver¬
ſprachen es mir, ſo wie auch mein Vater, daß
dieſer an meinem Hochzeittage mir erſcheinen
werde. Der Tag iſt vorbei. — Ich bin eine
Wittwe. Nun erſchein' er mir.“

Hier unterbrach ſie der Ritter: „vorbei?
— O, ganz recht! Iſt er denn etwas geſcheu¬
teres und ſittlicheres als ein Menſch?“ — und
ſpottete wider ſeine Weiſe zornig-aufglühend,
weil er glaubte, voa Albano, dem er ſo lange
vertrauet, ſey die Rede.

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[444/0456] ein Unglück zwiſchen Dir und meinem Bruder?“ fragte Julienne, in welcher die Verwandtſchaft immer wärmer ſorgte als die Freundſchaft. „Er¬ warte nur den Ritter, (antwortete ſie,) ich hab' ihn herbitten laſſen.“ Er trat eben herein. Sie bat ihn, ſich in dieſe kurze Nacht zu fügen. Nach einigem Schweigen ſtand ſie ſtolz vom Stuhle auf, die ſchwarzgekleidete lange Geſtalt hob vor dem Ritter, den ſie nicht ſah, die großen Augen gen Himmel, ihr ſtolzes Leben, bis jetzt ins Lei¬ chentuch gewickelt, ſchlug das Tuch zurück und ſtand blühend von Todten auf und ſie redete den Ritter an: „verehrter Gaſpard, Sie ver¬ ſprachen es mir, ſo wie auch mein Vater, daß dieſer an meinem Hochzeittage mir erſcheinen werde. Der Tag iſt vorbei. — Ich bin eine Wittwe. Nun erſchein' er mir.“ Hier unterbrach ſie der Ritter: „vorbei? — O, ganz recht! Iſt er denn etwas geſcheu¬ teres und ſittlicheres als ein Menſch?“ — und ſpottete wider ſeine Weiſe zornig-aufglühend, weil er glaubte, voa Albano, dem er ſo lange vertrauet, ſey die Rede.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/456>, abgerufen am 16.05.2024.