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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
gehören 1). Vereinzelt stehen dagegen die Annamiten in Tongking
und Cochinchina.

Ausserdem lassen sich noch nicht irgend einer der vorigen
Gruppen anschliessen die Karen in Pegu und im südlichen Birma,
die Mon im Delta der Irawadi, die Khomen oder Urbewohner von
Cambodscha, die Tschampa an der Küste östlich von den Mekong-
mündungen, die zu Marco Polo's Zeiten ein Königreich errichtet
hatten, die Kwanto, Urbewohner von Tongking und verschieden
von den Annamiten, die Moi oder Myong in den Gebirgen, welche
den Mekong von Tonking trennen 2). Die Khosprache in Cam-
bodscha und die Monsprache in Pegu sollen sich übrigens viel näher
stehen, als die zwischen ihnen ausgebreitete Thaisprache 3). Diese
kleineren Stämme üben auf den Völkerkundigen wenig Anziehung
aus. Sie stehen nicht mehr auf alterthümlichen Stufen, was sie
aber an Gesittung sich angeeignet haben, ist fremden Ursprunges,
ein Edelreis auf wildem Stamme. Dies gilt sogar von den grösseren
Reichen Birma, Siam und Tongking. Sind auch in allen drei
Ländern ansehnliche Reste grossartiger, jetzt meist verfallener
Bauten entdeckt worden, so tragen sie doch sämmtlich das Ge-
präge indischer Herkunft und indischen Geschmackes, welcher
letztere mit dem Buddhismus sich eingebürgert hatte. Uebrigens
gehören sie sämmtlich der nachchristlichen Zeit, überhaupt keinem
sehr hohen Alterthume an. Tongking hat dagegen seine Cultur-
schätze vorzugsweise aus China empfangen, wie denn auch Siam
zu den indischen Bildungsmitteln in neuerer Zeit chinesische
aufgenommen hat. Dürfen wir also rasch von den Malayochinesen
hinwegeilen, so müssen wir um so länger bei dem grössten Cultur-
volke der mongolischen Race, bei den Chinesen verweilen, über
deren Sprache bereits das Nöthigste mitgetheilt wurde 4).

Bei einer bedauerlichen Mehrheit unserer Landsleute beschränkt
sich das Wissen vom himmlischen Reich auf den Zopf, den die
Chinesen doch erst seit 1644 tragen, und ablegen werden, sobald
die Mandschu-Dynastie fällt, sowie auf die grosse Mauer, welche

1) Fr. Müller, Allgemeine Ethnographie. S. 361.
2) Friedrich Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie.
Bd. 2. S. 149 ff.
3) Latham, Man and his migrations. p. 195.
4) S. oben S. 118 ff.

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
gehören 1). Vereinzelt stehen dagegen die Annamiten in Tongking
und Cochinchina.

Ausserdem lassen sich noch nicht irgend einer der vorigen
Gruppen anschliessen die Karen in Pegu und im südlichen Birma,
die Mon im Delta der Irawadi, die Khomen oder Urbewohner von
Cambodscha, die Tschampa an der Küste östlich von den Mekong-
mündungen, die zu Marco Polo’s Zeiten ein Königreich errichtet
hatten, die Kwanto, Urbewohner von Tongking und verschieden
von den Annamiten, die Moi oder Myong in den Gebirgen, welche
den Mekong von Tonking trennen 2). Die Khôsprache in Cam-
bodscha und die Mônsprache in Pegu sollen sich übrigens viel näher
stehen, als die zwischen ihnen ausgebreitete Thaïsprache 3). Diese
kleineren Stämme üben auf den Völkerkundigen wenig Anziehung
aus. Sie stehen nicht mehr auf alterthümlichen Stufen, was sie
aber an Gesittung sich angeeignet haben, ist fremden Ursprunges,
ein Edelreis auf wildem Stamme. Dies gilt sogar von den grösseren
Reichen Birma, Siam und Tongking. Sind auch in allen drei
Ländern ansehnliche Reste grossartiger, jetzt meist verfallener
Bauten entdeckt worden, so tragen sie doch sämmtlich das Ge-
präge indischer Herkunft und indischen Geschmackes, welcher
letztere mit dem Buddhismus sich eingebürgert hatte. Uebrigens
gehören sie sämmtlich der nachchristlichen Zeit, überhaupt keinem
sehr hohen Alterthume an. Tongking hat dagegen seine Cultur-
schätze vorzugsweise aus China empfangen, wie denn auch Siam
zu den indischen Bildungsmitteln in neuerer Zeit chinesische
aufgenommen hat. Dürfen wir also rasch von den Malayochinesen
hinwegeilen, so müssen wir um so länger bei dem grössten Cultur-
volke der mongolischen Race, bei den Chinesen verweilen, über
deren Sprache bereits das Nöthigste mitgetheilt wurde 4).

Bei einer bedauerlichen Mehrheit unserer Landsleute beschränkt
sich das Wissen vom himmlischen Reich auf den Zopf, den die
Chinesen doch erst seit 1644 tragen, und ablegen werden, sobald
die Mandschu-Dynastie fällt, sowie auf die grosse Mauer, welche

1) Fr. Müller, Allgemeine Ethnographie. S. 361.
2) Friedrich Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie.
Bd. 2. S. 149 ff.
3) Latham, Man and his migrations. p. 195.
4) S. oben S. 118 ff.
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[384/0402] Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. gehören 1). Vereinzelt stehen dagegen die Annamiten in Tongking und Cochinchina. Ausserdem lassen sich noch nicht irgend einer der vorigen Gruppen anschliessen die Karen in Pegu und im südlichen Birma, die Mon im Delta der Irawadi, die Khomen oder Urbewohner von Cambodscha, die Tschampa an der Küste östlich von den Mekong- mündungen, die zu Marco Polo’s Zeiten ein Königreich errichtet hatten, die Kwanto, Urbewohner von Tongking und verschieden von den Annamiten, die Moi oder Myong in den Gebirgen, welche den Mekong von Tonking trennen 2). Die Khôsprache in Cam- bodscha und die Mônsprache in Pegu sollen sich übrigens viel näher stehen, als die zwischen ihnen ausgebreitete Thaïsprache 3). Diese kleineren Stämme üben auf den Völkerkundigen wenig Anziehung aus. Sie stehen nicht mehr auf alterthümlichen Stufen, was sie aber an Gesittung sich angeeignet haben, ist fremden Ursprunges, ein Edelreis auf wildem Stamme. Dies gilt sogar von den grösseren Reichen Birma, Siam und Tongking. Sind auch in allen drei Ländern ansehnliche Reste grossartiger, jetzt meist verfallener Bauten entdeckt worden, so tragen sie doch sämmtlich das Ge- präge indischer Herkunft und indischen Geschmackes, welcher letztere mit dem Buddhismus sich eingebürgert hatte. Uebrigens gehören sie sämmtlich der nachchristlichen Zeit, überhaupt keinem sehr hohen Alterthume an. Tongking hat dagegen seine Cultur- schätze vorzugsweise aus China empfangen, wie denn auch Siam zu den indischen Bildungsmitteln in neuerer Zeit chinesische aufgenommen hat. Dürfen wir also rasch von den Malayochinesen hinwegeilen, so müssen wir um so länger bei dem grössten Cultur- volke der mongolischen Race, bei den Chinesen verweilen, über deren Sprache bereits das Nöthigste mitgetheilt wurde 4). Bei einer bedauerlichen Mehrheit unserer Landsleute beschränkt sich das Wissen vom himmlischen Reich auf den Zopf, den die Chinesen doch erst seit 1644 tragen, und ablegen werden, sobald die Mandschu-Dynastie fällt, sowie auf die grosse Mauer, welche 1) Fr. Müller, Allgemeine Ethnographie. S. 361. 2) Friedrich Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. Bd. 2. S. 149 ff. 3) Latham, Man and his migrations. p. 195. 4) S. oben S. 118 ff.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/402>, abgerufen am 27.04.2024.