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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
in Berlin an den Erdumsegler Adalbert v. Chamisso 1) richtete, ob
nämlich von einem Punkte Asiens aus die Küste von Amerika
sichtbar sei, so dass dermaleinst durch ein Dreiecknetz beide Welten
verknüpft werden könnten. Da nun Chamisso mit Recht diese
Frage bejahen durfte, so erforderte es also keine Entdeckung
aufs Geradewohl, sondern den Asiaten der Beringstrasse als sie
nach Amerika übersetzten, lag ihr Ziel sichtbar vor Augen. Frei-
lich beunruhigt verwöhnte Europäer das Bedenken, ob es Völker-
schaften, die wir uns doch entblösst von Schutzmitteln denken
müssen, gelingen konnte, in jener strengen Natur auszudauern.
Uebersehen wird dabei dass gerade die Polarkinder an rauhem
Wetter ein grösseres Behagen empfinden, als am schwülen. "Wenn
ich im Winter, schreibt der unvergessliche Georg Steller, unter
meinem Bette und meinen Pelzdecken am Morgen fror, sah ich
dass die Itelmen, sogar ihre kleinen Kinder, bis an die halbe
Brust nackend und blos in ihrer Kuklanka ohne Decken und Betten
lagen und wärmer anzufühlen waren, als ich." An einer andern
Stelle fügt er hinzu, dass die Kamtschadalen stets neben ihr Nacht-
lager ein grosses Gefäss mit Wasser stellen, dieses durch Eisstücke
abkühlen und es, ehe der Morgen anbricht bis zum letzten Tropfen
geleert haben 2). Noch bessere Beruhigung gewähren uns aber die
Feuerländer, denn so niedrig wie sie müssen wir uns die ersten
Einwandrer in Amerika denken. Horden unter ihnen harren in
gänzlicher Nacktheit bei jedem Wetter aus. Darwin der eine
Frau in dieser Entblössung gewahrte, fügt hinzu: "Es regnete
heftig und das süsse Wasser mit dem Gischt des salzigen rann
an ihrem Leibe herunter. In einem zweiten Hafen, nicht weit
von dem vorigen, besuchte eine andre Frau mit einem kürzlich
gebornen Säugling an der Brust das Schiff und trieb sich aussen
herum aus lauter Neugierde, während Schlossen fielen, und auf
ihrem Busen wie auf der Haut des Kleinen thauten." An einer
späteren Stelle heisst es: "Wir alle waren warm bekleidet und
obgleich dem Feuer sehr nahe, doch keineswegs von der Hitze
geplagt, während unsre nackten Wilden obgleich sie viel ferner
sassen, von Schweiss überströmten und eine Art Röstung erlitten 3)."

1) Chamisso's Gesammelte Werke. Leipzig 1836. Bd. 1. S. 146.
2) Kamtschatka. S. 303. S. 325.
3) Darwin, Journal of researches. London 1845. p. 213. p. 220.

Die amerikanische Urbevölkerung.
in Berlin an den Erdumsegler Adalbert v. Chamisso 1) richtete, ob
nämlich von einem Punkte Asiens aus die Küste von Amerika
sichtbar sei, so dass dermaleinst durch ein Dreiecknetz beide Welten
verknüpft werden könnten. Da nun Chamisso mit Recht diese
Frage bejahen durfte, so erforderte es also keine Entdeckung
aufs Geradewohl, sondern den Asiaten der Beringstrasse als sie
nach Amerika übersetzten, lag ihr Ziel sichtbar vor Augen. Frei-
lich beunruhigt verwöhnte Europäer das Bedenken, ob es Völker-
schaften, die wir uns doch entblösst von Schutzmitteln denken
müssen, gelingen konnte, in jener strengen Natur auszudauern.
Uebersehen wird dabei dass gerade die Polarkinder an rauhem
Wetter ein grösseres Behagen empfinden, als am schwülen. „Wenn
ich im Winter, schreibt der unvergessliche Georg Steller, unter
meinem Bette und meinen Pelzdecken am Morgen fror, sah ich
dass die Itelmen, sogar ihre kleinen Kinder, bis an die halbe
Brust nackend und blos in ihrer Kuklanka ohne Decken und Betten
lagen und wärmer anzufühlen waren, als ich.“ An einer andern
Stelle fügt er hinzu, dass die Kamtschadalen stets neben ihr Nacht-
lager ein grosses Gefäss mit Wasser stellen, dieses durch Eisstücke
abkühlen und es, ehe der Morgen anbricht bis zum letzten Tropfen
geleert haben 2). Noch bessere Beruhigung gewähren uns aber die
Feuerländer, denn so niedrig wie sie müssen wir uns die ersten
Einwandrer in Amerika denken. Horden unter ihnen harren in
gänzlicher Nacktheit bei jedem Wetter aus. Darwin der eine
Frau in dieser Entblössung gewahrte, fügt hinzu: „Es regnete
heftig und das süsse Wasser mit dem Gischt des salzigen rann
an ihrem Leibe herunter. In einem zweiten Hafen, nicht weit
von dem vorigen, besuchte eine andre Frau mit einem kürzlich
gebornen Säugling an der Brust das Schiff und trieb sich aussen
herum aus lauter Neugierde, während Schlossen fielen, und auf
ihrem Busen wie auf der Haut des Kleinen thauten.“ An einer
späteren Stelle heisst es: „Wir alle waren warm bekleidet und
obgleich dem Feuer sehr nahe, doch keineswegs von der Hitze
geplagt, während unsre nackten Wilden obgleich sie viel ferner
sassen, von Schweiss überströmten und eine Art Röstung erlitten 3).“

1) Chamisso’s Gesammelte Werke. Leipzig 1836. Bd. 1. S. 146.
2) Kamtschatka. S. 303. S. 325.
3) Darwin, Journal of researches. London 1845. p. 213. p. 220.
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[429/0447] Die amerikanische Urbevölkerung. in Berlin an den Erdumsegler Adalbert v. Chamisso 1) richtete, ob nämlich von einem Punkte Asiens aus die Küste von Amerika sichtbar sei, so dass dermaleinst durch ein Dreiecknetz beide Welten verknüpft werden könnten. Da nun Chamisso mit Recht diese Frage bejahen durfte, so erforderte es also keine Entdeckung aufs Geradewohl, sondern den Asiaten der Beringstrasse als sie nach Amerika übersetzten, lag ihr Ziel sichtbar vor Augen. Frei- lich beunruhigt verwöhnte Europäer das Bedenken, ob es Völker- schaften, die wir uns doch entblösst von Schutzmitteln denken müssen, gelingen konnte, in jener strengen Natur auszudauern. Uebersehen wird dabei dass gerade die Polarkinder an rauhem Wetter ein grösseres Behagen empfinden, als am schwülen. „Wenn ich im Winter, schreibt der unvergessliche Georg Steller, unter meinem Bette und meinen Pelzdecken am Morgen fror, sah ich dass die Itelmen, sogar ihre kleinen Kinder, bis an die halbe Brust nackend und blos in ihrer Kuklanka ohne Decken und Betten lagen und wärmer anzufühlen waren, als ich.“ An einer andern Stelle fügt er hinzu, dass die Kamtschadalen stets neben ihr Nacht- lager ein grosses Gefäss mit Wasser stellen, dieses durch Eisstücke abkühlen und es, ehe der Morgen anbricht bis zum letzten Tropfen geleert haben 2). Noch bessere Beruhigung gewähren uns aber die Feuerländer, denn so niedrig wie sie müssen wir uns die ersten Einwandrer in Amerika denken. Horden unter ihnen harren in gänzlicher Nacktheit bei jedem Wetter aus. Darwin der eine Frau in dieser Entblössung gewahrte, fügt hinzu: „Es regnete heftig und das süsse Wasser mit dem Gischt des salzigen rann an ihrem Leibe herunter. In einem zweiten Hafen, nicht weit von dem vorigen, besuchte eine andre Frau mit einem kürzlich gebornen Säugling an der Brust das Schiff und trieb sich aussen herum aus lauter Neugierde, während Schlossen fielen, und auf ihrem Busen wie auf der Haut des Kleinen thauten.“ An einer späteren Stelle heisst es: „Wir alle waren warm bekleidet und obgleich dem Feuer sehr nahe, doch keineswegs von der Hitze geplagt, während unsre nackten Wilden obgleich sie viel ferner sassen, von Schweiss überströmten und eine Art Röstung erlitten 3).“ 1) Chamisso’s Gesammelte Werke. Leipzig 1836. Bd. 1. S. 146. 2) Kamtschatka. S. 303. S. 325. 3) Darwin, Journal of researches. London 1845. p. 213. p. 220.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/447>, abgerufen am 27.04.2024.