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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Dravida oder Urbewohner Vorderindiens.
Belutschistan, während die Belutschen selbst zu den Eraniern
zählen 1). Die Sprache der ersteren, welche schon längst von Chr.
Lassen den Dravida beigezählt wurde 2), reicht von Shal im Norden
bis nach Jalavan im Süden und von Kohak im Westen bis Harrand
im Osten. Die Brahui sind ein roher, abgehärteter und unver-
dorbener Stamm, dabei gastfreundlich und von unerschütter-
licher Treue. Von ihnen räumlich weit geschieden ganz im
Süden der vorderindischen Halbinsel entwickelten sich fünf dra-
vidische Cultursprachen, nämlich am Saume der Westküste das
Tulu oder Tulwa, welches nur noch um Mangalore von etwa
150,000 Bewohnern gesprochen wird, dann angrenzend auf einem
schmalen Küstenstrich bis zur Südspitze das Malayalam oder Ma-
labarische, drittens von Cap Comorin bis über die Polhöhe von
Madras und von dem Kamm der westlichen Ghat bis zum ben-
galischen Golf das Tamil, die Sprache der Tamulen, welcher auch
noch die Nordhälfte von Ceylon angehört 3). Sie wird von 10
Millionen gesprochen und besitzt eine reiche alte Literatur, wurde
doch schon nicht lange nach Beginn unserer Zeitrechnung in Ma-
dura unter einem Könige des Pandja Reiches eine tamulische
Akademie gestiftet 4). Das Auftreten Tiruvalluvers, des Dichter-
königs der Tamulen fällt dagegen in die Zeit von 200 bis 800
n. Chr. Sein Hauptwerk, der Kural oder "Kurzzeiler" mit vier-
und dreifüssigen Strophen, Anfangsreimen und Alliterationen in
der Mitte, ist ein gnomonisches Gedicht, mit Sprüchen über die
sittlichen Ziele des Menschen, voll zarter und wahrer Gedanken,
aber krankend an dem Wahn der Wiedergeburt, von der auf
buddhistischem Wege eine Erlösung erstrebt werden soll 5).

Die vierte dravidische Cultursprache, das Telugu, von den
Briten Gentoo oder Heidensprache genannt, wird von 14 Millionen
gesprochen und behauptet sich längs der Ostküste vom 14. bis 19.
Breitegrad, von dem es sich binnenwärts bis etwa zum Mittags-
kreise des Cap Comorin erstreckt. Von diesem angefangen gegen

1) Fr. Spiegel, Eranische Alterthumskunde. Bd. 1. S. 333.
2) Zeitschrift für Kunde des Morgenlandes. Bd. 5. S. 408.
3) vgl. die Sprachenkarte in Berghaus, Physikal. Atlas. 2. Aufl. Ethnogr.
Blatt 14.
4) K. Graul, im Ausland. 1855. S. 1160.
5) K. Graul, Bibliotheca Tamulica. Leipzig 1856. tom. III. p. XIII.

Die Dravida oder Urbewohner Vorderindiens.
Belutschistan, während die Belutschen selbst zu den Erâniern
zählen 1). Die Sprache der ersteren, welche schon längst von Chr.
Lassen den Dravida beigezählt wurde 2), reicht von Shal im Norden
bis nach Jalavân im Süden und von Kohak im Westen bis Harrand
im Osten. Die Brahui sind ein roher, abgehärteter und unver-
dorbener Stamm, dabei gastfreundlich und von unerschütter-
licher Treue. Von ihnen räumlich weit geschieden ganz im
Süden der vorderindischen Halbinsel entwickelten sich fünf dra-
vidische Cultursprachen, nämlich am Saume der Westküste das
Tulu oder Tulwa, welches nur noch um Mangalore von etwa
150,000 Bewohnern gesprochen wird, dann angrenzend auf einem
schmalen Küstenstrich bis zur Südspitze das Malayalam oder Ma-
labarische, drittens von Cap Comorin bis über die Polhöhe von
Madras und von dem Kamm der westlichen Ghat bis zum ben-
galischen Golf das Tamil, die Sprache der Tamulen, welcher auch
noch die Nordhälfte von Ceylon angehört 3). Sie wird von 10
Millionen gesprochen und besitzt eine reiche alte Literatur, wurde
doch schon nicht lange nach Beginn unserer Zeitrechnung in Ma-
dura unter einem Könige des Pandja Reiches eine tamulische
Akademie gestiftet 4). Das Auftreten Tiruvalluvers, des Dichter-
königs der Tamulen fällt dagegen in die Zeit von 200 bis 800
n. Chr. Sein Hauptwerk, der Kural oder „Kurzzeiler“ mit vier-
und dreifüssigen Strophen, Anfangsreimen und Alliterationen in
der Mitte, ist ein gnomonisches Gedicht, mit Sprüchen über die
sittlichen Ziele des Menschen, voll zarter und wahrer Gedanken,
aber krankend an dem Wahn der Wiedergeburt, von der auf
buddhistischem Wege eine Erlösung erstrebt werden soll 5).

Die vierte dravidische Cultursprache, das Telugu, von den
Briten Gentoo oder Heidensprache genannt, wird von 14 Millionen
gesprochen und behauptet sich längs der Ostküste vom 14. bis 19.
Breitegrad, von dem es sich binnenwärts bis etwa zum Mittags-
kreise des Cap Comorin erstreckt. Von diesem angefangen gegen

1) Fr. Spiegel, Erânische Alterthumskunde. Bd. 1. S. 333.
2) Zeitschrift für Kunde des Morgenlandes. Bd. 5. S. 408.
3) vgl. die Sprachenkarte in Berghaus, Physikal. Atlas. 2. Aufl. Ethnogr.
Blatt 14.
4) K. Graul, im Ausland. 1855. S. 1160.
5) K. Graul, Bibliotheca Tamulica. Leipzig 1856. tom. III. p. XIII.
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[485/0503] Die Dravida oder Urbewohner Vorderindiens. Belutschistan, während die Belutschen selbst zu den Erâniern zählen 1). Die Sprache der ersteren, welche schon längst von Chr. Lassen den Dravida beigezählt wurde 2), reicht von Shal im Norden bis nach Jalavân im Süden und von Kohak im Westen bis Harrand im Osten. Die Brahui sind ein roher, abgehärteter und unver- dorbener Stamm, dabei gastfreundlich und von unerschütter- licher Treue. Von ihnen räumlich weit geschieden ganz im Süden der vorderindischen Halbinsel entwickelten sich fünf dra- vidische Cultursprachen, nämlich am Saume der Westküste das Tulu oder Tulwa, welches nur noch um Mangalore von etwa 150,000 Bewohnern gesprochen wird, dann angrenzend auf einem schmalen Küstenstrich bis zur Südspitze das Malayalam oder Ma- labarische, drittens von Cap Comorin bis über die Polhöhe von Madras und von dem Kamm der westlichen Ghat bis zum ben- galischen Golf das Tamil, die Sprache der Tamulen, welcher auch noch die Nordhälfte von Ceylon angehört 3). Sie wird von 10 Millionen gesprochen und besitzt eine reiche alte Literatur, wurde doch schon nicht lange nach Beginn unserer Zeitrechnung in Ma- dura unter einem Könige des Pandja Reiches eine tamulische Akademie gestiftet 4). Das Auftreten Tiruvalluvers, des Dichter- königs der Tamulen fällt dagegen in die Zeit von 200 bis 800 n. Chr. Sein Hauptwerk, der Kural oder „Kurzzeiler“ mit vier- und dreifüssigen Strophen, Anfangsreimen und Alliterationen in der Mitte, ist ein gnomonisches Gedicht, mit Sprüchen über die sittlichen Ziele des Menschen, voll zarter und wahrer Gedanken, aber krankend an dem Wahn der Wiedergeburt, von der auf buddhistischem Wege eine Erlösung erstrebt werden soll 5). Die vierte dravidische Cultursprache, das Telugu, von den Briten Gentoo oder Heidensprache genannt, wird von 14 Millionen gesprochen und behauptet sich längs der Ostküste vom 14. bis 19. Breitegrad, von dem es sich binnenwärts bis etwa zum Mittags- kreise des Cap Comorin erstreckt. Von diesem angefangen gegen 1) Fr. Spiegel, Erânische Alterthumskunde. Bd. 1. S. 333. 2) Zeitschrift für Kunde des Morgenlandes. Bd. 5. S. 408. 3) vgl. die Sprachenkarte in Berghaus, Physikal. Atlas. 2. Aufl. Ethnogr. Blatt 14. 4) K. Graul, im Ausland. 1855. S. 1160. 5) K. Graul, Bibliotheca Tamulica. Leipzig 1856. tom. III. p. XIII.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/503>, abgerufen am 28.04.2024.