Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Vogt. Beruhige dich, Wüst! Schlag es doch
jezt aus dem Kopf, und vergiß es, bis du wieder
gesund seyn wirst. Du wirst dann wohl wieder
sehn, daß ich Recht habe: und ich will dir deine Hand-
schrift zerreissen, es macht dich vielleicht auch
ruhiger.

Wüst. Nein, Vogt! Behalte die Handschrift.
Sollte ich vor Hunger mein Fleisch fressen, so
werde ich dir die Schuld bezahlen. Ich will kein
Blutgeld auf meine Seele. Hast du mich betro-
gen, hat mich der Vicari eingeschläfert, so wird
vielleicht Gott noch mir verzeihen; ich meynte nicht,
daß es so kommen würde.

Vogt. Nimm diese Handschrift, Wüst! sieh,
ich zerreisse sie vor deinen Augen, und ich nehme
es auf mich, daß ich Recht hatte. Sey doch ruhig!

Wüst. Nimm auf dich, was du willst, Vogt!
ich werde dir die Schuld zahlen. Uebermorgen ver-
kauf ich meinen Sonntagsrock, und werde dir die
Schuld zahlen.

Vogt. Besinne dich eines Bessern, du irrest
dich in Gottes Namen; aber ich muß einmal
weiter.

Wüst. Gott Lob! daß du gehst; bliebest du
länger, ich würde ausser mir selber kommen vor
deinen Augen.

Vogt. Beruhige dich, Wüst, in Gottes Namen!

Sie giengen jetzt von einander.

Der

Vogt. Beruhige dich, Wuͤſt! Schlag es doch
jezt aus dem Kopf, und vergiß es, bis du wieder
geſund ſeyn wirſt. Du wirſt dann wohl wieder
ſehn, daß ich Recht habe: und ich will dir deine Hand-
ſchrift zerreiſſen, es macht dich vielleicht auch
ruhiger.

Wuͤſt. Nein, Vogt! Behalte die Handſchrift.
Sollte ich vor Hunger mein Fleiſch freſſen, ſo
werde ich dir die Schuld bezahlen. Ich will kein
Blutgeld auf meine Seele. Haſt du mich betro-
gen, hat mich der Vicari eingeſchlaͤfert, ſo wird
vielleicht Gott noch mir verzeihen; ich meynte nicht,
daß es ſo kommen wuͤrde.

Vogt. Nimm dieſe Handſchrift, Wuͤſt! ſieh,
ich zerreiſſe ſie vor deinen Augen, und ich nehme
es auf mich, daß ich Recht hatte. Sey doch ruhig!

Wuͤſt. Nimm auf dich, was du willſt, Vogt!
ich werde dir die Schuld zahlen. Uebermorgen ver-
kauf ich meinen Sonntagsrock, und werde dir die
Schuld zahlen.

Vogt. Beſinne dich eines Beſſern, du irreſt
dich in Gottes Namen; aber ich muß einmal
weiter.

Wuͤſt. Gott Lob! daß du gehſt; bliebeſt du
laͤnger, ich wuͤrde auſſer mir ſelber kommen vor
deinen Augen.

Vogt. Beruhige dich, Wuͤſt, in Gottes Namen!

Sie giengen jetzt von einander.

Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0148" n="123"/>
          <p><hi rendition="#fr">Vogt.</hi> Beruhige dich, Wu&#x0364;&#x017F;t! Schlag es doch<lb/>
jezt aus dem Kopf, und vergiß es, bis du wieder<lb/>
ge&#x017F;und &#x017F;eyn wir&#x017F;t. Du wir&#x017F;t dann wohl wieder<lb/>
&#x017F;ehn, daß ich Recht habe: und ich will dir deine Hand-<lb/>
&#x017F;chrift zerrei&#x017F;&#x017F;en, es macht dich vielleicht auch<lb/>
ruhiger.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Wu&#x0364;&#x017F;t.</hi> Nein, Vogt! Behalte die Hand&#x017F;chrift.<lb/>
Sollte ich vor Hunger mein Flei&#x017F;ch fre&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o<lb/>
werde ich dir die Schuld bezahlen. Ich will kein<lb/>
Blutgeld auf meine Seele. Ha&#x017F;t du mich betro-<lb/>
gen, hat mich der Vicari einge&#x017F;chla&#x0364;fert, &#x017F;o wird<lb/>
vielleicht Gott noch mir verzeihen; ich meynte nicht,<lb/>
daß es &#x017F;o kommen wu&#x0364;rde.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Vogt.</hi> Nimm die&#x017F;e Hand&#x017F;chrift, Wu&#x0364;&#x017F;t! &#x017F;ieh,<lb/>
ich zerrei&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie vor deinen Augen, und ich nehme<lb/>
es auf mich, daß ich Recht hatte. Sey doch ruhig!</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Wu&#x0364;&#x017F;t.</hi> Nimm auf dich, was du will&#x017F;t, Vogt!<lb/>
ich werde dir die Schuld zahlen. Uebermorgen ver-<lb/>
kauf ich meinen Sonntagsrock, und werde dir die<lb/>
Schuld zahlen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Vogt.</hi> Be&#x017F;inne dich eines Be&#x017F;&#x017F;ern, du irre&#x017F;t<lb/>
dich in Gottes Namen; aber ich muß einmal<lb/>
weiter.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Wu&#x0364;&#x017F;t.</hi> Gott Lob! daß du geh&#x017F;t; bliebe&#x017F;t du<lb/>
la&#x0364;nger, ich wu&#x0364;rde au&#x017F;&#x017F;er mir &#x017F;elber kommen vor<lb/>
deinen Augen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Vogt.</hi> Beruhige dich, Wu&#x0364;&#x017F;t, in Gottes Namen!</p><lb/>
          <p>Sie giengen jetzt von einander.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0148] Vogt. Beruhige dich, Wuͤſt! Schlag es doch jezt aus dem Kopf, und vergiß es, bis du wieder geſund ſeyn wirſt. Du wirſt dann wohl wieder ſehn, daß ich Recht habe: und ich will dir deine Hand- ſchrift zerreiſſen, es macht dich vielleicht auch ruhiger. Wuͤſt. Nein, Vogt! Behalte die Handſchrift. Sollte ich vor Hunger mein Fleiſch freſſen, ſo werde ich dir die Schuld bezahlen. Ich will kein Blutgeld auf meine Seele. Haſt du mich betro- gen, hat mich der Vicari eingeſchlaͤfert, ſo wird vielleicht Gott noch mir verzeihen; ich meynte nicht, daß es ſo kommen wuͤrde. Vogt. Nimm dieſe Handſchrift, Wuͤſt! ſieh, ich zerreiſſe ſie vor deinen Augen, und ich nehme es auf mich, daß ich Recht hatte. Sey doch ruhig! Wuͤſt. Nimm auf dich, was du willſt, Vogt! ich werde dir die Schuld zahlen. Uebermorgen ver- kauf ich meinen Sonntagsrock, und werde dir die Schuld zahlen. Vogt. Beſinne dich eines Beſſern, du irreſt dich in Gottes Namen; aber ich muß einmal weiter. Wuͤſt. Gott Lob! daß du gehſt; bliebeſt du laͤnger, ich wuͤrde auſſer mir ſelber kommen vor deinen Augen. Vogt. Beruhige dich, Wuͤſt, in Gottes Namen! Sie giengen jetzt von einander. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/148
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/148>, abgerufen am 29.04.2024.