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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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Vogt. Schweig jezt, Christen! Das beste
wär, ich liesse dich brav zerprügeln, daß du
mir den Krug umgeleert hast. Aber ich muß jezt
wissen, wie es heute beym Scheerer gegangen ist,
da ich fort war.

Christen. Aber das Versprechen, Vogt?

Vogt. Was für ein Versprechen?

Christen. Daß ich weinfrey seyn soll bis am
Morgen, wenn ich was Rechts wisse.

Vogt. Wenn du denn aber nichts weißst,
willst du doch saufen?

Christen. Ja, nichts wissen; nur Wein her,
und hör dann.

Der Vogt gibt ihm, sitzt zu ihm hin, und Chri-
sten erzählt jezt, was er weiß und was er nicht
weiß. Einst machte er es so bunt, daß es der Vogt
merkte. Lüg doch auch so, du Hund! daß man
es nicht mit Händen greift, sagte er.

Nein, bey Gott! antwortete Christen, so wahr
ich ein Sünder bin, es fehlt kein Haar und kein Punct
an dem, was ich sage.

Nun denn, sagte der Vogt, der jezt doch ge-
nug hatte, der Schabenmichel ist eben gekommen,
ich muß etwas mit ihm reden, und geht dann an
den andern Tisch, wo dieser saß, klopft ihm auf
die Achsel und sagt:

§. 29.
K 3

Vogt. Schweig jezt, Chriſten! Das beſte
waͤr, ich lieſſe dich brav zerpruͤgeln, daß du
mir den Krug umgeleert haſt. Aber ich muß jezt
wiſſen, wie es heute beym Scheerer gegangen iſt,
da ich fort war.

Chriſten. Aber das Verſprechen, Vogt?

Vogt. Was fuͤr ein Verſprechen?

Chriſten. Daß ich weinfrey ſeyn ſoll bis am
Morgen, wenn ich was Rechts wiſſe.

Vogt. Wenn du denn aber nichts weißſt,
willſt du doch ſaufen?

Chriſten. Ja, nichts wiſſen; nur Wein her,
und hoͤr dann.

Der Vogt gibt ihm, ſitzt zu ihm hin, und Chri-
ſten erzaͤhlt jezt, was er weiß und was er nicht
weiß. Einſt machte er es ſo bunt, daß es der Vogt
merkte. Luͤg doch auch ſo, du Hund! daß man
es nicht mit Haͤnden greift, ſagte er.

Nein, bey Gott! antwortete Chriſten, ſo wahr
ich ein Suͤnder bin, es fehlt kein Haar und kein Punct
an dem, was ich ſage.

Nun denn, ſagte der Vogt, der jezt doch ge-
nug hatte, der Schabenmichel iſt eben gekommen,
ich muß etwas mit ihm reden, und geht dann an
den andern Tiſch, wo dieſer ſaß, klopft ihm auf
die Achſel und ſagt:

§. 29.
K 3
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[149/0174] Vogt. Schweig jezt, Chriſten! Das beſte waͤr, ich lieſſe dich brav zerpruͤgeln, daß du mir den Krug umgeleert haſt. Aber ich muß jezt wiſſen, wie es heute beym Scheerer gegangen iſt, da ich fort war. Chriſten. Aber das Verſprechen, Vogt? Vogt. Was fuͤr ein Verſprechen? Chriſten. Daß ich weinfrey ſeyn ſoll bis am Morgen, wenn ich was Rechts wiſſe. Vogt. Wenn du denn aber nichts weißſt, willſt du doch ſaufen? Chriſten. Ja, nichts wiſſen; nur Wein her, und hoͤr dann. Der Vogt gibt ihm, ſitzt zu ihm hin, und Chri- ſten erzaͤhlt jezt, was er weiß und was er nicht weiß. Einſt machte er es ſo bunt, daß es der Vogt merkte. Luͤg doch auch ſo, du Hund! daß man es nicht mit Haͤnden greift, ſagte er. Nein, bey Gott! antwortete Chriſten, ſo wahr ich ein Suͤnder bin, es fehlt kein Haar und kein Punct an dem, was ich ſage. Nun denn, ſagte der Vogt, der jezt doch ge- nug hatte, der Schabenmichel iſt eben gekommen, ich muß etwas mit ihm reden, und geht dann an den andern Tiſch, wo dieſer ſaß, klopft ihm auf die Achſel und ſagt: §. 29. K 3

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/174>, abgerufen am 27.04.2024.