Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

für jeden Eindruck der Wahrheit und der Tugend;
sie ist wie eine weiche Schreibtafel. Die Dummheit
des Aberglaubens aber ist wie gegossenes Erz, keines
Eindrucks fähig, als durch Feuer und Flammen.
Und ich will jezt nur, Junker! da Sie von diesem
Unterschiede, der mir in meinem Berufe so wichtig
ist, angefangen haben, einen Augenblick davon fort-
schwatzen.

Junker. Ich bitte Sie darum, Herr Pfarrer!
die Sache ist mir eben so wichtig.

Pfarrer. Der Mensch in der unverdorbenen
Einfalt seiner Natur, weiß wenig; aber sein Wis-
sen ist in Ordnung, seine Aufmerksamkeit ist fest
und stark auf das gerichtet, was ihm verständlich
und brauchbar ist. Er bildet sich nichts darauf ein,
etwas zu wissen, das er nicht versteht und nicht
braucht. Die Dummheit des Aberglaubens aber
hat keine Ordnung in ihrem Wissen; sie prahlt,
das zu wissen, was sie nicht weiß und nicht ver-
steht; sie masset sich an, die Unordnung ihres
Wissens sey göttliche Ordnung, und der vergäng-
liche Glanz ihrer Schaumblase sey göttliche Weis-
heit und göttliches Licht.

Die Einfalt und die Unschuld der Natur brauchen
alle Sinnen, urtheilen nicht unüberlegt, sehen al-
les ruhig und bedächtlich an, dulden Widerspruch,
sorgen und eifern für Bedürfniß und nicht für

Mey-

fuͤr jeden Eindruck der Wahrheit und der Tugend;
ſie iſt wie eine weiche Schreibtafel. Die Dummheit
des Aberglaubens aber iſt wie gegoſſenes Erz, keines
Eindrucks faͤhig, als durch Feuer und Flammen.
Und ich will jezt nur, Junker! da Sie von dieſem
Unterſchiede, der mir in meinem Berufe ſo wichtig
iſt, angefangen haben, einen Augenblick davon fort-
ſchwatzen.

Junker. Ich bitte Sie darum, Herr Pfarrer!
die Sache iſt mir eben ſo wichtig.

Pfarrer. Der Menſch in der unverdorbenen
Einfalt ſeiner Natur, weiß wenig; aber ſein Wiſ-
ſen iſt in Ordnung, ſeine Aufmerkſamkeit iſt feſt
und ſtark auf das gerichtet, was ihm verſtaͤndlich
und brauchbar iſt. Er bildet ſich nichts darauf ein,
etwas zu wiſſen, das er nicht verſteht und nicht
braucht. Die Dummheit des Aberglaubens aber
hat keine Ordnung in ihrem Wiſſen; ſie prahlt,
das zu wiſſen, was ſie nicht weiß und nicht ver-
ſteht; ſie maſſet ſich an, die Unordnung ihres
Wiſſens ſey goͤttliche Ordnung, und der vergaͤng-
liche Glanz ihrer Schaumblaſe ſey goͤttliche Weis-
heit und goͤttliches Licht.

Die Einfalt und die Unſchuld der Natur brauchen
alle Sinnen, urtheilen nicht unuͤberlegt, ſehen al-
les ruhig und bedaͤchtlich an, dulden Widerſpruch,
ſorgen und eifern fuͤr Beduͤrfniß und nicht fuͤr

Mey-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0363" n="338"/>
fu&#x0364;r jeden Eindruck der Wahrheit und der Tugend;<lb/>
&#x017F;ie i&#x017F;t wie eine weiche Schreibtafel. Die Dummheit<lb/>
des Aberglaubens aber i&#x017F;t wie gego&#x017F;&#x017F;enes Erz, keines<lb/>
Eindrucks fa&#x0364;hig, als durch Feuer und Flammen.<lb/>
Und ich will jezt nur, Junker! da Sie von die&#x017F;em<lb/>
Unter&#x017F;chiede, der mir in meinem Berufe &#x017F;o wichtig<lb/>
i&#x017F;t, angefangen haben, einen Augenblick davon fort-<lb/>
&#x017F;chwatzen.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Junker.</hi> Ich bitte Sie darum, Herr Pfarrer!<lb/>
die Sache i&#x017F;t mir eben &#x017F;o wichtig.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Pfarrer.</hi> Der Men&#x017F;ch in der unverdorbenen<lb/>
Einfalt &#x017F;einer Natur, weiß wenig; aber &#x017F;ein Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en i&#x017F;t in Ordnung, &#x017F;eine Aufmerk&#x017F;amkeit i&#x017F;t fe&#x017F;t<lb/>
und &#x017F;tark auf das gerichtet, was ihm ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich<lb/>
und brauchbar i&#x017F;t. Er bildet &#x017F;ich nichts darauf ein,<lb/>
etwas zu wi&#x017F;&#x017F;en, das er nicht ver&#x017F;teht und nicht<lb/>
braucht. Die Dummheit des Aberglaubens aber<lb/>
hat keine Ordnung in ihrem Wi&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;ie prahlt,<lb/>
das zu wi&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;ie nicht weiß und nicht ver-<lb/>
&#x017F;teht; &#x017F;ie ma&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich an, die Unordnung ihres<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;ens &#x017F;ey go&#x0364;ttliche Ordnung, und der verga&#x0364;ng-<lb/>
liche Glanz ihrer Schaumbla&#x017F;e &#x017F;ey go&#x0364;ttliche Weis-<lb/>
heit und go&#x0364;ttliches Licht.</p><lb/>
        <p>Die Einfalt und die Un&#x017F;chuld der Natur brauchen<lb/>
alle Sinnen, urtheilen nicht unu&#x0364;berlegt, &#x017F;ehen al-<lb/>
les ruhig und beda&#x0364;chtlich an, dulden Wider&#x017F;pruch,<lb/>
&#x017F;orgen und eifern fu&#x0364;r Bedu&#x0364;rfniß und nicht fu&#x0364;r<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Mey-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[338/0363] fuͤr jeden Eindruck der Wahrheit und der Tugend; ſie iſt wie eine weiche Schreibtafel. Die Dummheit des Aberglaubens aber iſt wie gegoſſenes Erz, keines Eindrucks faͤhig, als durch Feuer und Flammen. Und ich will jezt nur, Junker! da Sie von dieſem Unterſchiede, der mir in meinem Berufe ſo wichtig iſt, angefangen haben, einen Augenblick davon fort- ſchwatzen. Junker. Ich bitte Sie darum, Herr Pfarrer! die Sache iſt mir eben ſo wichtig. Pfarrer. Der Menſch in der unverdorbenen Einfalt ſeiner Natur, weiß wenig; aber ſein Wiſ- ſen iſt in Ordnung, ſeine Aufmerkſamkeit iſt feſt und ſtark auf das gerichtet, was ihm verſtaͤndlich und brauchbar iſt. Er bildet ſich nichts darauf ein, etwas zu wiſſen, das er nicht verſteht und nicht braucht. Die Dummheit des Aberglaubens aber hat keine Ordnung in ihrem Wiſſen; ſie prahlt, das zu wiſſen, was ſie nicht weiß und nicht ver- ſteht; ſie maſſet ſich an, die Unordnung ihres Wiſſens ſey goͤttliche Ordnung, und der vergaͤng- liche Glanz ihrer Schaumblaſe ſey goͤttliche Weis- heit und goͤttliches Licht. Die Einfalt und die Unſchuld der Natur brauchen alle Sinnen, urtheilen nicht unuͤberlegt, ſehen al- les ruhig und bedaͤchtlich an, dulden Widerſpruch, ſorgen und eifern fuͤr Beduͤrfniß und nicht fuͤr Mey-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/363
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/363>, abgerufen am 29.04.2024.