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Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850.

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geführt und gewöhnlich frei gelassen, -- am folgenden Morgen ist die ganze Sache vergessen.

Eine interessante Geschichte ist auch folgende: Der König hatte einst auf einen seiner Statthalter einen besondern Haß und beschied ihn nach der Hauptstadt, um ihn stranguliren zu lassen. Der Minister, dessen Freund der Statthalter war, wollte ihn retten und that es auf folgende Weise. Er sprach zum Könige: "Herr! ich sage Dir Lebewohl, ich ziehe gen Mecca." Der König, sehr erschrocken, seinen Liebling auf so lange Zeit zu entbehren (die Reise nach Mecca dauert wenigstens ein Jahr), frug bestürzt um die Ursache dieser Reise. -- "Du weißt Herr, daß ich kinderlos bin, und den Statthalter, welchen Du, wie ich höre, hinrichten lassen willst, an Kindesstatt angenommen habe; ich verliere meinen Sohn, und will mir in Mecca einen neuen holen." -- Der König erwiederte ihm, daß er davon nichst gewußt habe; weil aber dies der Fall sei, so wolle er ihn nicht hinrichten, sondern an seinem Platze lassen.

Der König liebt seine Mutter leidenschaftlich. Wenn sie ihn besuchte, stand er jederzeit auf und blieb in ihrer Gegenwart stehen, während sie saß. Der Minister war über diese Hochachtungsbezeugung sehr aufgebracht, und sagte: "Du bist König, die Mutter muß vor Dir stehen." Endlich setzte er auch hierin seinen Willen durch. Wenn aber die Mutter zur Zeit kömmt, wo der Minister nicht gegenwärtig ist, bezeigt ihr der Sohn dieselbe Achtung, Seinen Leuten gebietet er dann strenge, dem Minister nichts davon zu sagen.

Diese und noch mehrere Geschichten erzählte mir

geführt und gewöhnlich frei gelassen, — am folgenden Morgen ist die ganze Sache vergessen.

Eine interessante Geschichte ist auch folgende: Der König hatte einst auf einen seiner Statthalter einen besondern Haß und beschied ihn nach der Hauptstadt, um ihn stranguliren zu lassen. Der Minister, dessen Freund der Statthalter war, wollte ihn retten und that es auf folgende Weise. Er sprach zum Könige: „Herr! ich sage Dir Lebewohl, ich ziehe gen Mecca.“ Der König, sehr erschrocken, seinen Liebling auf so lange Zeit zu entbehren (die Reise nach Mecca dauert wenigstens ein Jahr), frug bestürzt um die Ursache dieser Reise. — „Du weißt Herr, daß ich kinderlos bin, und den Statthalter, welchen Du, wie ich höre, hinrichten lassen willst, an Kindesstatt angenommen habe; ich verliere meinen Sohn, und will mir in Mecca einen neuen holen.“ — Der König erwiederte ihm, daß er davon nichst gewußt habe; weil aber dies der Fall sei, so wolle er ihn nicht hinrichten, sondern an seinem Platze lassen.

Der König liebt seine Mutter leidenschaftlich. Wenn sie ihn besuchte, stand er jederzeit auf und blieb in ihrer Gegenwart stehen, während sie saß. Der Minister war über diese Hochachtungsbezeugung sehr aufgebracht, und sagte: „Du bist König, die Mutter muß vor Dir stehen.“ Endlich setzte er auch hierin seinen Willen durch. Wenn aber die Mutter zur Zeit kömmt, wo der Minister nicht gegenwärtig ist, bezeigt ihr der Sohn dieselbe Achtung, Seinen Leuten gebietet er dann strenge, dem Minister nichts davon zu sagen.

Diese und noch mehrere Geschichten erzählte mir

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[225/0233] geführt und gewöhnlich frei gelassen, — am folgenden Morgen ist die ganze Sache vergessen. Eine interessante Geschichte ist auch folgende: Der König hatte einst auf einen seiner Statthalter einen besondern Haß und beschied ihn nach der Hauptstadt, um ihn stranguliren zu lassen. Der Minister, dessen Freund der Statthalter war, wollte ihn retten und that es auf folgende Weise. Er sprach zum Könige: „Herr! ich sage Dir Lebewohl, ich ziehe gen Mecca.“ Der König, sehr erschrocken, seinen Liebling auf so lange Zeit zu entbehren (die Reise nach Mecca dauert wenigstens ein Jahr), frug bestürzt um die Ursache dieser Reise. — „Du weißt Herr, daß ich kinderlos bin, und den Statthalter, welchen Du, wie ich höre, hinrichten lassen willst, an Kindesstatt angenommen habe; ich verliere meinen Sohn, und will mir in Mecca einen neuen holen.“ — Der König erwiederte ihm, daß er davon nichst gewußt habe; weil aber dies der Fall sei, so wolle er ihn nicht hinrichten, sondern an seinem Platze lassen. Der König liebt seine Mutter leidenschaftlich. Wenn sie ihn besuchte, stand er jederzeit auf und blieb in ihrer Gegenwart stehen, während sie saß. Der Minister war über diese Hochachtungsbezeugung sehr aufgebracht, und sagte: „Du bist König, die Mutter muß vor Dir stehen.“ Endlich setzte er auch hierin seinen Willen durch. Wenn aber die Mutter zur Zeit kömmt, wo der Minister nicht gegenwärtig ist, bezeigt ihr der Sohn dieselbe Achtung, Seinen Leuten gebietet er dann strenge, dem Minister nichts davon zu sagen. Diese und noch mehrere Geschichten erzählte mir

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Zitationshilfe: Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt03_1850/233>, abgerufen am 28.04.2024.