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Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850.

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bei, eine Gunst, die mir ein orthodoxer Parsi nicht gestattet hätte; doch durfte ich nicht Theil daran nehmen, -- für mich wurde früher gedeckt und ich speiste allein. Man gab mir mehrere Gerichte, die mit geringen Abweichungen auf europäische Art zubereitet waren. Alle, außer dem Herrn vom Hause, sahen mir zu, wie ich mit Messer und Gabel aß, selbst die Dienerschaft lockte dies Schauspiel herbei. Nachdem ich meinen Appetit im Angesichte des Publikums kunstgerecht befriediget hatte, wurde Tisch und alles so rein gefegt, als wenn ich mit der Pest behaftet gewesen wäre. Hierauf brachte man flache Brode, die man statt der Teller auf den unbedeckten Tisch legte, und sechs bis sieben Schüsselchen mit denselben Gerichten, von welchen man mir vorgesetzt hatte. Die Familie wusch sich Hände und Gesicht und der Vater sprach ein kurzes Gebet. Alle, außer dem jüngsten Kinde, das erst sechs Jahre zählte, setzten sich zu Tische und langten mit der rechten Hand in die verschiedenen Schüsseln. Sie rissen und zerrten das Fleisch von den Hühnern- und Schöpsenknochen, lösten die Fische stückweise von den Gräten, fuhren damit in die verschiedenen Brühen und Saucen und warfen den Bissen so geschickt in den Mund, daß die Lippe von der Hand nicht berührt wurde. Derjenige, dem letzteres wiederfährt, muß augenblicklich aufstehen und sich neuerdings die Hand waschen, oder er muß die Schüssel, in welche er ungewaschen fährt, vor sich nehmen und darf keine andere berühren. Die linke Hand ist während der ganzen Mahlzeit in Ruhestand versetzt.

Diese Art des Speisens scheint zwar sehr unappetitlich, ist es aber in der That nicht im geringsten; die

bei, eine Gunst, die mir ein orthodoxer Parsi nicht gestattet hätte; doch durfte ich nicht Theil daran nehmen, — für mich wurde früher gedeckt und ich speiste allein. Man gab mir mehrere Gerichte, die mit geringen Abweichungen auf europäische Art zubereitet waren. Alle, außer dem Herrn vom Hause, sahen mir zu, wie ich mit Messer und Gabel aß, selbst die Dienerschaft lockte dies Schauspiel herbei. Nachdem ich meinen Appetit im Angesichte des Publikums kunstgerecht befriediget hatte, wurde Tisch und alles so rein gefegt, als wenn ich mit der Pest behaftet gewesen wäre. Hierauf brachte man flache Brode, die man statt der Teller auf den unbedeckten Tisch legte, und sechs bis sieben Schüsselchen mit denselben Gerichten, von welchen man mir vorgesetzt hatte. Die Familie wusch sich Hände und Gesicht und der Vater sprach ein kurzes Gebet. Alle, außer dem jüngsten Kinde, das erst sechs Jahre zählte, setzten sich zu Tische und langten mit der rechten Hand in die verschiedenen Schüsseln. Sie rissen und zerrten das Fleisch von den Hühnern- und Schöpsenknochen, lösten die Fische stückweise von den Gräten, fuhren damit in die verschiedenen Brühen und Saucen und warfen den Bissen so geschickt in den Mund, daß die Lippe von der Hand nicht berührt wurde. Derjenige, dem letzteres wiederfährt, muß augenblicklich aufstehen und sich neuerdings die Hand waschen, oder er muß die Schüssel, in welche er ungewaschen fährt, vor sich nehmen und darf keine andere berühren. Die linke Hand ist während der ganzen Mahlzeit in Ruhestand versetzt.

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[84/0092] bei, eine Gunst, die mir ein orthodoxer Parsi nicht gestattet hätte; doch durfte ich nicht Theil daran nehmen, — für mich wurde früher gedeckt und ich speiste allein. Man gab mir mehrere Gerichte, die mit geringen Abweichungen auf europäische Art zubereitet waren. Alle, außer dem Herrn vom Hause, sahen mir zu, wie ich mit Messer und Gabel aß, selbst die Dienerschaft lockte dies Schauspiel herbei. Nachdem ich meinen Appetit im Angesichte des Publikums kunstgerecht befriediget hatte, wurde Tisch und alles so rein gefegt, als wenn ich mit der Pest behaftet gewesen wäre. Hierauf brachte man flache Brode, die man statt der Teller auf den unbedeckten Tisch legte, und sechs bis sieben Schüsselchen mit denselben Gerichten, von welchen man mir vorgesetzt hatte. Die Familie wusch sich Hände und Gesicht und der Vater sprach ein kurzes Gebet. Alle, außer dem jüngsten Kinde, das erst sechs Jahre zählte, setzten sich zu Tische und langten mit der rechten Hand in die verschiedenen Schüsseln. Sie rissen und zerrten das Fleisch von den Hühnern- und Schöpsenknochen, lösten die Fische stückweise von den Gräten, fuhren damit in die verschiedenen Brühen und Saucen und warfen den Bissen so geschickt in den Mund, daß die Lippe von der Hand nicht berührt wurde. Derjenige, dem letzteres wiederfährt, muß augenblicklich aufstehen und sich neuerdings die Hand waschen, oder er muß die Schüssel, in welche er ungewaschen fährt, vor sich nehmen und darf keine andere berühren. Die linke Hand ist während der ganzen Mahlzeit in Ruhestand versetzt. Diese Art des Speisens scheint zwar sehr unappetitlich, ist es aber in der That nicht im geringsten; die

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Zitationshilfe: Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt03_1850/92>, abgerufen am 28.04.2024.