Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorzug der kriechenden Poesie
aufgehoben, und dadurch sein Name immer mit
fortgewelzet.

§ 20. Weiter ist es kein Geringes voraus,
das der Reim-Schmied vor den erhabenen
Poeten
in Absicht auf die Amplification oder
Erweiterung eines Thematis hat. Die erha-
benen Poeten haben sich selber durch ihre ver-
drießlichen Einschränkungs-Regeln die Flügel
um ein gut Theil beschnitten. Sie verwerfen
manche Arten von Amplificationen schlechthin;
bey andern wollen sie praecise diese Tour der
Gedanken, und keine andere, angebracht wissen.
So verwerfen sie durchaus die Amplificatio-
nem a contrario in terminis terminantibus,

daß ich so rede. Sie sagen, es würde übel ste-
hen, und einen auf falsche Neben-Gedanken
verleiten, wenn man z. E. einen Bürgermeister
in Versen loben, und den Anfang ab antithesi
machen wolle, was ein böser, fauler, tücki-
scher, mit Gelde bestochener Bürgermeister

sey; darauf in applicatione a contrario mit
dem Aber hinten nach kommen, und sagen wolle:
Das bist du aber nicht. Sie meynen, es klin-
ge eben so, als wenn einer in prosa spräche:
Es giebt manchen Schlingel, Bärenheuter und
etc.; aber das ist der Herr nicht! Würde das,
sagen sie, wol eine sonderliche Caresse seyn?
Hingegen die Reim-Schmiede nehmen alles bey
der Erde
und vorm Maule weg. Nichts ist
so weit hergeholt, es kann durch den poetischen
Schmiede-Hammer
zusammengeschlagen wer-

den,

Vorzug der kriechenden Poeſie
aufgehoben, und dadurch ſein Name immer mit
fortgewelzet.

§ 20. Weiter iſt es kein Geringes voraus,
das der Reim-Schmied vor den erhabenen
Poeten
in Abſicht auf die Amplification oder
Erweiterung eines Thematis hat. Die erha-
benen Poeten haben ſich ſelber durch ihre ver-
drießlichen Einſchraͤnkungs-Regeln die Fluͤgel
um ein gut Theil beſchnitten. Sie verwerfen
manche Arten von Amplificationen ſchlechthin;
bey andern wollen ſie praeciſe dieſe Tour der
Gedanken, und keine andere, angebracht wiſſen.
So verwerfen ſie durchaus die Amplificatio-
nem a contrario in terminis terminantibus,

daß ich ſo rede. Sie ſagen, es wuͤrde uͤbel ſte-
hen, und einen auf falſche Neben-Gedanken
verleiten, wenn man z. E. einen Buͤrgermeiſter
in Verſen loben, und den Anfang ab antitheſi
machen wolle, was ein boͤſer, fauler, tuͤcki-
ſcher, mit Gelde beſtochener Buͤrgermeiſter

ſey; darauf in applicatione a contrario mit
dem Aber hinten nach kommen, und ſagen wolle:
Das biſt du aber nicht. Sie meynen, es klin-
ge eben ſo, als wenn einer in proſa ſpraͤche:
Es giebt manchen Schlingel, Baͤrenheuter und
ꝛc.; aber das iſt der Herr nicht! Wuͤrde das,
ſagen ſie, wol eine ſonderliche Careſſe ſeyn?
Hingegen die Reim-Schmiede nehmen alles bey
der Erde
und vorm Maule weg. Nichts iſt
ſo weit hergeholt, es kann durch den poetiſchen
Schmiede-Hammer
zuſammengeſchlagen wer-

den,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0154" n="146"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vorzug der kriechenden Poe&#x017F;ie</hi></fw><lb/>
aufgehoben, und dadurch <hi rendition="#fr">&#x017F;ein Name</hi> immer mit<lb/>
fortgewelzet.</p><lb/>
        <p>§ 20. Weiter i&#x017F;t es kein Geringes voraus,<lb/>
das der <hi rendition="#fr">Reim-Schmied</hi> vor den <hi rendition="#fr">erhabenen<lb/>
Poeten</hi> in Ab&#x017F;icht auf die Amplification oder<lb/><hi rendition="#fr">Erweiterung</hi> eines Thematis hat. Die erha-<lb/>
benen Poeten haben &#x017F;ich &#x017F;elber durch ihre ver-<lb/>
drießlichen <hi rendition="#fr">Ein&#x017F;chra&#x0364;nkungs-Regeln</hi> die Flu&#x0364;gel<lb/>
um ein gut Theil be&#x017F;chnitten. Sie verwerfen<lb/>
manche Arten von Amplificationen <hi rendition="#fr">&#x017F;chlechthin;</hi><lb/>
bey andern wollen &#x017F;ie <hi rendition="#aq">praeci&#x017F;e</hi> <hi rendition="#fr">die&#x017F;e Tour</hi> der<lb/>
Gedanken, und <hi rendition="#fr">keine andere,</hi> angebracht wi&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
So verwerfen &#x017F;ie durchaus die <hi rendition="#aq">Amplificatio-<lb/>
nem a <hi rendition="#i">contrario</hi> in terminis terminantibus,</hi><lb/>
daß ich &#x017F;o rede. Sie &#x017F;agen, es wu&#x0364;rde u&#x0364;bel &#x017F;te-<lb/>
hen, und einen auf <hi rendition="#fr">fal&#x017F;che Neben-Gedanken</hi><lb/>
verleiten, wenn man z. E. einen Bu&#x0364;rgermei&#x017F;ter<lb/>
in Ver&#x017F;en loben, und den Anfang <hi rendition="#aq">ab antithe&#x017F;i</hi><lb/>
machen wolle, was ein <hi rendition="#fr">bo&#x0364;&#x017F;er, fauler, tu&#x0364;cki-<lb/>
&#x017F;cher, mit Gelde be&#x017F;tochener Bu&#x0364;rgermei&#x017F;ter</hi><lb/>
&#x017F;ey; darauf <hi rendition="#aq">in applicatione a contrario</hi> mit<lb/>
dem <hi rendition="#fr">Aber</hi> hinten nach kommen, und &#x017F;agen wolle:<lb/>
Das bi&#x017F;t du <hi rendition="#fr">aber</hi> nicht. Sie meynen, es klin-<lb/>
ge eben &#x017F;o, als wenn einer <hi rendition="#aq">in pro&#x017F;a</hi> &#x017F;pra&#x0364;che:<lb/>
Es giebt manchen Schlingel, Ba&#x0364;renheuter und<lb/>
&#xA75B;c.; <hi rendition="#fr">aber</hi> das i&#x017F;t der Herr nicht! Wu&#x0364;rde das,<lb/>
&#x017F;agen &#x017F;ie, wol eine <hi rendition="#fr">&#x017F;onderliche Care&#x017F;&#x017F;e</hi> &#x017F;eyn?<lb/>
Hingegen die Reim-Schmiede nehmen alles <hi rendition="#fr">bey<lb/>
der Erde</hi> und <hi rendition="#fr">vorm Maule weg.</hi> Nichts i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;o weit hergeholt, es kann durch den <hi rendition="#fr">poeti&#x017F;chen<lb/>
Schmiede-Hammer</hi> zu&#x017F;ammenge&#x017F;chlagen wer-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0154] Vorzug der kriechenden Poeſie aufgehoben, und dadurch ſein Name immer mit fortgewelzet. § 20. Weiter iſt es kein Geringes voraus, das der Reim-Schmied vor den erhabenen Poeten in Abſicht auf die Amplification oder Erweiterung eines Thematis hat. Die erha- benen Poeten haben ſich ſelber durch ihre ver- drießlichen Einſchraͤnkungs-Regeln die Fluͤgel um ein gut Theil beſchnitten. Sie verwerfen manche Arten von Amplificationen ſchlechthin; bey andern wollen ſie praeciſe dieſe Tour der Gedanken, und keine andere, angebracht wiſſen. So verwerfen ſie durchaus die Amplificatio- nem a contrario in terminis terminantibus, daß ich ſo rede. Sie ſagen, es wuͤrde uͤbel ſte- hen, und einen auf falſche Neben-Gedanken verleiten, wenn man z. E. einen Buͤrgermeiſter in Verſen loben, und den Anfang ab antitheſi machen wolle, was ein boͤſer, fauler, tuͤcki- ſcher, mit Gelde beſtochener Buͤrgermeiſter ſey; darauf in applicatione a contrario mit dem Aber hinten nach kommen, und ſagen wolle: Das biſt du aber nicht. Sie meynen, es klin- ge eben ſo, als wenn einer in proſa ſpraͤche: Es giebt manchen Schlingel, Baͤrenheuter und ꝛc.; aber das iſt der Herr nicht! Wuͤrde das, ſagen ſie, wol eine ſonderliche Careſſe ſeyn? Hingegen die Reim-Schmiede nehmen alles bey der Erde und vorm Maule weg. Nichts iſt ſo weit hergeholt, es kann durch den poetiſchen Schmiede-Hammer zuſammengeſchlagen wer- den,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/154
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/154>, abgerufen am 14.05.2024.