Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ppo_210.001
Wesens der Dichtkunst -- der idealischen Darstellung ppo_210.002
individueller Gefühle -- ermangeln. Denn ppo_210.003
so gewiß der Stoff zu allen Gebilden und Erzeugnissen ppo_210.004
der didactischen Form der Dichtkunst ursprünglich ppo_210.005
aus Begriffen und Jdeen des menschlichen ppo_210.006
Geistes besteht; so gewiß müssen doch diese ppo_210.007
Begriffe und Jdeen aus dem Kreise des Vorstellungsvermögens ppo_210.008
heraus- und in den Kreis des ppo_210.009
Gefühlsvermögens
eintreten, und in demselben ppo_210.010
bestimmte, mit jenen Begriffen und Jdeen ppo_210.011
unmittelbar vergesellschaftete, Gefühle veranlassen, ppo_210.012
bevor von einer didactischen Form der Dichtkunst ppo_210.013
die Rede seyn kann. Nicht Metrum und Reim ppo_210.014
entscheiden über den eigenthümlichen Charakter der ppo_210.015
Dichtkunst; dies ward bereits in der Einleitung erwiesen. ppo_210.016
Denn könnten diese äußern und zufälligen ppo_210.017
(übrigens nichts weniger, als zu vernachlässigenden) ppo_210.018
Kennzeichen der Form über den aus dem innern ppo_210.019
Wesen des Menschen stammenden dichterischen ppo_210.020
Charakter eines ästhetischen Erzeugnisses entscheiden; ppo_210.021
so würden mehrere der ältern Dichter ppo_210.022
des siebenzehnten Jahrhunderts, die den Anbau ppo_210.023
der didactischen Dichtkunst bei den Teutschen erneuerten, ppo_210.024
in der That Gedichte aufgestellt haben, ppo_210.025
während ihre Formen nur metrisch behandelte ppo_210.026
Prosa
enthalten. Wenn nämlich die Begriffe des ppo_210.027
Verstandes und die Jdeen der Vernunft blos als ppo_210.028
solche,
ohne Vergesellschaftung mit reinen und starken, ppo_210.029
durch sie aufgeregten, Gefühlen, im Metrum ppo_210.030
oder Reim dargestellt werden; so gehören sie nicht ppo_210.031
ins Gebiet der Dichtkunst, sondern der Prosa, weil ppo_210.032
nur das den dichterischen Charakter ankündigt, was ppo_210.033
zunächst, bevor es in die Form der Sprachdarstellung ppo_210.034
übergeht, aus rein menschlichen Gefühlen

ppo_210.001
Wesens der Dichtkunst — der idealischen Darstellung ppo_210.002
individueller Gefühle — ermangeln. Denn ppo_210.003
so gewiß der Stoff zu allen Gebilden und Erzeugnissen ppo_210.004
der didactischen Form der Dichtkunst ursprünglich ppo_210.005
aus Begriffen und Jdeen des menschlichen ppo_210.006
Geistes besteht; so gewiß müssen doch diese ppo_210.007
Begriffe und Jdeen aus dem Kreise des Vorstellungsvermögens ppo_210.008
heraus- und in den Kreis des ppo_210.009
Gefühlsvermögens
eintreten, und in demselben ppo_210.010
bestimmte, mit jenen Begriffen und Jdeen ppo_210.011
unmittelbar vergesellschaftete, Gefühle veranlassen, ppo_210.012
bevor von einer didactischen Form der Dichtkunst ppo_210.013
die Rede seyn kann. Nicht Metrum und Reim ppo_210.014
entscheiden über den eigenthümlichen Charakter der ppo_210.015
Dichtkunst; dies ward bereits in der Einleitung erwiesen. ppo_210.016
Denn könnten diese äußern und zufälligen ppo_210.017
(übrigens nichts weniger, als zu vernachlässigenden) ppo_210.018
Kennzeichen der Form über den aus dem innern ppo_210.019
Wesen des Menschen stammenden dichterischen ppo_210.020
Charakter eines ästhetischen Erzeugnisses entscheiden; ppo_210.021
so würden mehrere der ältern Dichter ppo_210.022
des siebenzehnten Jahrhunderts, die den Anbau ppo_210.023
der didactischen Dichtkunst bei den Teutschen erneuerten, ppo_210.024
in der That Gedichte aufgestellt haben, ppo_210.025
während ihre Formen nur metrisch behandelte ppo_210.026
Prosa
enthalten. Wenn nämlich die Begriffe des ppo_210.027
Verstandes und die Jdeen der Vernunft blos als ppo_210.028
solche,
ohne Vergesellschaftung mit reinen und starken, ppo_210.029
durch sie aufgeregten, Gefühlen, im Metrum ppo_210.030
oder Reim dargestellt werden; so gehören sie nicht ppo_210.031
ins Gebiet der Dichtkunst, sondern der Prosa, weil ppo_210.032
nur das den dichterischen Charakter ankündigt, was ppo_210.033
zunächst, bevor es in die Form der Sprachdarstellung ppo_210.034
übergeht, aus rein menschlichen Gefühlen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0222" n="210"/><lb n="ppo_210.001"/> Wesens der Dichtkunst &#x2014; der idealischen Darstellung <lb n="ppo_210.002"/>individueller Gefühle &#x2014; ermangeln. Denn <lb n="ppo_210.003"/>so gewiß der Stoff zu allen Gebilden und Erzeugnissen <lb n="ppo_210.004"/>der didactischen Form der Dichtkunst <hi rendition="#g">ursprünglich</hi> <lb n="ppo_210.005"/>aus Begriffen und Jdeen des menschlichen <lb n="ppo_210.006"/>Geistes besteht; so gewiß müssen doch diese <lb n="ppo_210.007"/>Begriffe und Jdeen aus dem Kreise des Vorstellungsvermögens <lb n="ppo_210.008"/>heraus- und <hi rendition="#g">in den Kreis des <lb n="ppo_210.009"/>Gefühlsvermögens</hi> eintreten, und in demselben <lb n="ppo_210.010"/><hi rendition="#g">bestimmte,</hi> mit jenen Begriffen und Jdeen <lb n="ppo_210.011"/>unmittelbar vergesellschaftete, <hi rendition="#g">Gefühle</hi> veranlassen, <lb n="ppo_210.012"/>bevor von einer didactischen Form <hi rendition="#g">der Dichtkunst</hi> <lb n="ppo_210.013"/>die Rede seyn kann. Nicht Metrum und Reim <lb n="ppo_210.014"/>entscheiden über den eigenthümlichen Charakter der <lb n="ppo_210.015"/>Dichtkunst; dies ward bereits in der Einleitung erwiesen. <lb n="ppo_210.016"/>Denn könnten diese <hi rendition="#g">äußern</hi> und zufälligen <lb n="ppo_210.017"/>(übrigens nichts weniger, als zu vernachlässigenden) <lb n="ppo_210.018"/>Kennzeichen der Form über den aus dem <hi rendition="#g">innern</hi> <lb n="ppo_210.019"/>Wesen des Menschen stammenden <hi rendition="#g">dichterischen</hi> <lb n="ppo_210.020"/>Charakter eines ästhetischen Erzeugnisses entscheiden; <lb n="ppo_210.021"/>so würden mehrere der ältern Dichter <lb n="ppo_210.022"/>des siebenzehnten Jahrhunderts, die den Anbau <lb n="ppo_210.023"/>der didactischen Dichtkunst bei den Teutschen erneuerten, <lb n="ppo_210.024"/>in der That <hi rendition="#g">Gedichte</hi> aufgestellt haben, <lb n="ppo_210.025"/>während ihre Formen <hi rendition="#g">nur metrisch behandelte <lb n="ppo_210.026"/>Prosa</hi> enthalten. Wenn nämlich die Begriffe des <lb n="ppo_210.027"/>Verstandes und die Jdeen der Vernunft <hi rendition="#g">blos als <lb n="ppo_210.028"/>solche,</hi> ohne Vergesellschaftung mit reinen und starken, <lb n="ppo_210.029"/>durch sie aufgeregten, Gefühlen, im Metrum <lb n="ppo_210.030"/>oder Reim dargestellt werden; so gehören sie nicht <lb n="ppo_210.031"/>ins Gebiet der Dichtkunst, sondern der Prosa, weil <lb n="ppo_210.032"/>nur <hi rendition="#g">das</hi> den dichterischen Charakter ankündigt, was <lb n="ppo_210.033"/>zunächst, bevor es in die Form der Sprachdarstellung <lb n="ppo_210.034"/>übergeht, aus rein menschlichen Gefühlen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0222] ppo_210.001 Wesens der Dichtkunst — der idealischen Darstellung ppo_210.002 individueller Gefühle — ermangeln. Denn ppo_210.003 so gewiß der Stoff zu allen Gebilden und Erzeugnissen ppo_210.004 der didactischen Form der Dichtkunst ursprünglich ppo_210.005 aus Begriffen und Jdeen des menschlichen ppo_210.006 Geistes besteht; so gewiß müssen doch diese ppo_210.007 Begriffe und Jdeen aus dem Kreise des Vorstellungsvermögens ppo_210.008 heraus- und in den Kreis des ppo_210.009 Gefühlsvermögens eintreten, und in demselben ppo_210.010 bestimmte, mit jenen Begriffen und Jdeen ppo_210.011 unmittelbar vergesellschaftete, Gefühle veranlassen, ppo_210.012 bevor von einer didactischen Form der Dichtkunst ppo_210.013 die Rede seyn kann. Nicht Metrum und Reim ppo_210.014 entscheiden über den eigenthümlichen Charakter der ppo_210.015 Dichtkunst; dies ward bereits in der Einleitung erwiesen. ppo_210.016 Denn könnten diese äußern und zufälligen ppo_210.017 (übrigens nichts weniger, als zu vernachlässigenden) ppo_210.018 Kennzeichen der Form über den aus dem innern ppo_210.019 Wesen des Menschen stammenden dichterischen ppo_210.020 Charakter eines ästhetischen Erzeugnisses entscheiden; ppo_210.021 so würden mehrere der ältern Dichter ppo_210.022 des siebenzehnten Jahrhunderts, die den Anbau ppo_210.023 der didactischen Dichtkunst bei den Teutschen erneuerten, ppo_210.024 in der That Gedichte aufgestellt haben, ppo_210.025 während ihre Formen nur metrisch behandelte ppo_210.026 Prosa enthalten. Wenn nämlich die Begriffe des ppo_210.027 Verstandes und die Jdeen der Vernunft blos als ppo_210.028 solche, ohne Vergesellschaftung mit reinen und starken, ppo_210.029 durch sie aufgeregten, Gefühlen, im Metrum ppo_210.030 oder Reim dargestellt werden; so gehören sie nicht ppo_210.031 ins Gebiet der Dichtkunst, sondern der Prosa, weil ppo_210.032 nur das den dichterischen Charakter ankündigt, was ppo_210.033 zunächst, bevor es in die Form der Sprachdarstellung ppo_210.034 übergeht, aus rein menschlichen Gefühlen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/222
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/222>, abgerufen am 29.04.2024.